Durst: Thriller (German Edition)

schließlich ein Antrag für eine transgene Maissorte von Syngenta.
    Der erste Teil der Sitzung zog sich hin, weil Lemsky Soares zu den neuen Produkten eine Reihe von Anmerkungen zu machen hatte, aber am Ende erteilte die Kommission sämtliche Zulassungen. Im Prinzip war der Leiter der CTNB io überhaupt nicht damit einverstanden, dass der Markt mit all diesen Produkten, die die multinationalen Konzerne aus dem Hut zogen, überschwemmt wurde. Andererseits hatte er längst begriffen, dass gegen die üblichen Gepflogenheiten nicht viel auszurichten war.
    Lemsky Soares war nur allzu bewusst, dass bestimmte Entscheidungen gar nicht in diesem Amtssitz getroffen wurden. Brasilien war auf dem Weg, das Land mit dem zweitgrößten Bedarf an genverändertem Saatgut zu werden, direkt nach den Vereinigten Staaten– für die Gentechnikriesen eine Goldgrube. Brasilia wimmelte nur so vor Lobbyisten, Anwälten und Beratern der transnationalen Unternehmen, die wie ausgehungerte Wölfe auf der Lauer lagen, um ihre Produkte auf dem ständig expandierenden Markt zu platzieren. Den Funktionären, die von den Konzernen in die ministeriellen Entscheidungsinstanzen eingeschleust wurden, hatte Lemsky Soares den Krieg erklärt, und er tat alles, um sie aus den Räumen der Kommission herauszuhalten. Dort aber, im siebten Stock des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie, lagen die Dinge anders. Nicht alle Dossiers landeten in einer geregelten Prozedur auf ihrem Tisch. In den letzten Wochen etwa war eine Akte mit dem Namen › BN -00 Blind Narcissus‹– Blinder Narziss– zirkuliert und hatte keine Ruhe gefunden.
    Wie immer widmete sich die zweite Sitzungsphase den Anträgen auf Genehmigung von Freilandversuchen mit neuen Produkten, vor allem genetisch veränderten Organismen. Meistens war dies der kürzere Teil der Sitzung. An diesem Tag aber sollte es anders kommen: Einer der Tagesordnungspunkte war nämlich besagter Blind Narcissus, wobei es diesmal nicht um Pestizide ging, sondern um Wasser, genauer gesagt um ein › Modell für die Behandlung von Wasser zum Gebrauch von Mensch und Tier ‹ .
    Fernando Lemsky Soares war mit einem klaren Ziel in die Sitzung gegangen: diesen Antrag abzulehnen, koste es, was es wolle. Das hatte Bidaqui vorausgesehen, und so lastete seine fast schon legendäre Dauermüdigkeit jetzt noch schwerer auf ihm.
    » Doktor Bidaqui, alle Anwesenden hatten Gelegenheit, Einsicht in das Dokument zu nehmen « , griff Lemsky Soares sofort an. » Da es sich um ein Thema handelt, das die öffentliche Gesundheit betrifft, bin ich der Auffassung, dass die Sache eingehender geprüft werden muss. Ich schlage daher vor, den Vorgang an die Zentralkommission zurückzugeben. «
    Bidaqui schaute ihn über seine Brille hinweg an. Er hatte den Eindruck, dass Lemsky Soares seine Worte wie eine Formel auswendig gelernt hatte.
    » Das Dokument hat die Zentralkommission bereits passiert, daher sehe ich nicht, wieso wir es dorthin zurückgeben sollten « , erwiderte er in einem leicht ironischen Tonfall.
    » Zum Zwecke einer eingehenderen Prüfung, Doktor Bidaqui. «
    Lemsky Soares’ Meinung hatte im Ministerium Gewicht, und das wusste Bidaqui. Als Leiter der CTNB io hatte er die Möglichkeit, Stimmungen zu beeinflussen und über das Schicksal eines Projekts– oder zumindest über die Geschwindigkeit seiner Umsetzung– zu entscheiden. In jedem Fall konnte er einem mit seinen spitzfindigen Einwänden das Leben schwer machen.
    » Was genau kommt Ihnen denn klärungsbedürftig vor, Doktor Lemsky Soares? «
    » Verschiedenes « , sagte der Kommissionsleiter. » Vor allem aber ist mir der Zweck des Ganzen nicht klar… «
    » Wie das? « , unterbrach ihn Bidaqui. » Es handelt sich um ein Reinigungsverfahren für Trinkwasser, klarer geht’s ja wohl nicht. «
    » Genau « , sagte Lemsky Soares. » Es gibt Hunderte von Verfahren zur Reinigung von Wasser, aber ich kann mich nicht erinnern, dass man unserer Kommission auch nur eines davon zur Prüfung vorgelegt hätte. «
    Bidaqui nickte. » Schon richtig, aber da es sich um ein technisches Verfahren handelt, verlangt das Gesetz eindeutig unsere Zustimmung. Wenn es regnet, dann ist das nicht die Schuld der Meteorologen, sondern die der Wolken. «
    » Diese Metapher verstehe ich nicht, wenn ich ehrlich sein darf. « Lemsky Soares lächelte.
    Bidaqui verzog das Gesicht; die anderen grinsten.
    Lemsky Soares fuhr fort. » Mir ist einfach nicht klar, wieso ein technisches Verfahren von der