Durst: Thriller (German Edition)
Clarice.
» Sind Sie von der Polizei? «
» Nein, wir sind Freunde « , sagte Matheus. » Nelson ist mein Bruder. «
Jetzt tauchte ein kleiner, untersetzter Mann um die fünfzig auf. Sein Gesicht war eine Art flaches Dreieck mit zwei glänzenden Schlitzen darin, sein Oberkörper nackt.
» Sie sind Nelsons Bruder? « Er kaute auf irgendetwas herum. » Ich wusste gar nicht, dass er einen Bruder hat. «
» Ich bin Matheus Braga. Das hier ist Sarah Clarice Young, eine Mitarbeiterin meines Bruders. «
» Sehr erfreut. Ich bin Domingos. Das ist meine Frau Flor. Hereinbitten möchte ich Sie lieber nicht, es ist nicht günstig im Moment. Wenn Sie mögen, kann ich Ihnen aber einen anständigen Kaffee anbieten. «
» Den nehme ich gern « , sagte Matheus.
Domingos schickte seine Frau los, um Kaffee zu kochen. Kaum war sie aus dem Raum, bat Matheus den Mann, ihm alles zu erzählen, woran er sich erinnerte. Domingos erklärte, dass er den Wagen, als er am Samstagabend um sieben nach Hause gekommen sei, an seinem Zaun habe stehen sehen. Dass es Nelsons Passat war, sei ihm sofort klar gewesen, aber er habe sich keine weiteren Gedanken darüber gemacht. Man sah ihn schließlich häufiger in der Gegend. Nelson ließ den Wagen irgendwo stehen und machte dann seine Hausbesuche. Domingos war also schlafen gegangen. Als er am Sonntagmorgen seine drei Schweine füttern wollte, fiel ihm auf, dass der Passat immer noch dort stand. Nun machte er sich plötzlich doch Sorgen. Er wartete noch ein paar Stunden, und als Nelson mittags immer noch nicht wieder da war, rief er die Polizei in Sobradinho an.
» Und niemand hat gesehen, wie der Wagen dorthin gekommen ist? «
Domingos wirkte ratlos. » Ich denke nicht. Hier wohnen bloß wir beide, und ich war am Samstag den ganzen Tag fort. Ich habe auf der anderen Seite der Stadt ein Feld, auf dem ich Caju anbaue. Und meine Frau hat nichts gesehen. «
Er rief nach ihr. Flor kam mit den Espressotassen, in die sie bereits den Kaffee gefüllt hatte. Sie sagte, sie könne sich nicht mehr genau erinnern, aber am Samstag sei der Wagen noch nicht da gewesen. Erst als Domingos kam, hätten sie ihn bemerkt.
» Das bedeutet, dass er erst im Dunkeln dort abgestellt wurde. Nach sechs irgendwann « , dachte Matheus laut nach.
Der Mann schaute ihn gleichmütig an. » Möglich. «
Sarah Clarice blieb hartnäckig. » Was kann denn Ihrer Meinung nach passiert sein? «
Die Frage schien den Mann zu irritieren. » Das fragen Sie mich? «
» Ja. Sie sind doch von hier. Geschehen solche Dinge sonst nie hier in der Gegend? «
» Hier? Nein. Das ist eine ruhige Gegend. Außerdem ist Doktor Nelson, möge Gott ihn beschützen, allseits beliebt. Wenn es jemanden gibt, der Gutes tut, dann er. «
» Sie halten es also nicht für wahrscheinlich, dass man ihn entführt oder ihm etwas angetan hat? «
» Nicht wirklich, nein. Natürlich ist es nicht so, dass es hier keine Verbrecher gäbe. Vor allem nachts muss man auf der Hut sein, sonst ist schnell finito, wie man so schön sagt. «
Matheus lächelte schwach. Das war ein Wort, das sein Vater auch oft gebraucht hatte. Finito, meist begleitet von einer Geste, bei der er sich mit dem Zeigefinger über die Kehle gefahren war.
» Sympathisieren Sie mit dem Hungerstreik von Dom Cappio? « , fragte Sarah Clarice.
Der Mann schien überrascht. » Ja natürlich. Wir waren in der Messe und haben für ihn gebetet. Was bleibt uns denn übrig! Wenn sie uns das wenige Wasser auch noch abgraben, was soll denn dann aus uns werden? Und wer profitiert von der Geschichte? Doch ausschließlich die Industrie in Pernambuco und Ceará … «
Matheus unterbrach ihn. » Domingos, erinnern Sie sich zufällig, wann Sie meinen Bruder zum letzten Mal gesehen haben? «
Der Mann dachte einen Moment nach und sagte dann: » Freitag. Ja, am Freitagabend. In der Nähe der Kirche. Da war eine ergreifende Andacht. Um sieben, wie immer. «
» War jemand bei ihm? «
» Ja. Er hat mit so einem Fotografen gesprochen. Zumindest glaube ich, dass es ein Fotograf war. Ein junger Typ– ein Gringo, wenn Sie mich fragen. Blond und mit einem großen Fotoapparat um den Hals. «
Matheus warf Sarah Clarice einen Blick zu.
» Haben Sie das auch der Polizei erzählt? « , fragte sie.
» Der Polizei? Ganz bestimmt nicht. Wenn es sich vermeiden lässt, rede ich überhaupt nicht mit denen. Die haben aber auch gar nichts gefragt. Sie haben den Passat mitgenommen und sich nicht mehr blicken lassen. «
Matheus
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