Durst: Thriller (German Edition)
vergeben. Irgendwann verließ Sarah Clarice den Club, hielt ein Taxi an und nannte ihm Joyce’ Adresse. Zerstreut schaute sie hinaus und überließ sich mit einem Lächeln auf den Lippen dem Wummern eines Axé von Banda Eva im Autoradio. Joyce wohnte in Barra, in einem roten Sobrado. Vor der Tür befand sich ein Eisengitter. Sarah Clarice klingelte, aber niemand machte auf. Sie klingelte ein zweites Mal, und jetzt wurde im zweiten Stock ein Fenster geöffnet. Joyce steckte den Kopf heraus. » Ich glaub’s nicht, du bist tatsächlich gekommen? «
Sarah Clarice winkte hoch. Nach ein paar Sekunden öffnete sich die Haustür, und Joyce stand vor ihr, nur mit einem weißen und noch dazu ziemlich kurzen Hemdchen bekleidet.
» Hallo. Wart ihr gar nicht im Prete? «
» Wir waren schon ziemlich früh da und sind dann hierher. Komm rein. «
Sarah Clarice’ Blick fiel ständig auf den Saum von diesem Hemdchen. » Oje. « Sie musste grinsen, da sie leicht angetrunken war. » Mir scheint, ich störe. «
Joyce warf ihr denselben aufgekratzten Blick zu wie am Nachmittag. » Du störst überhaupt nicht. Wir dachten nur, du kommst nicht mehr… «
Sarah Clarice hatte weiche Beine und musste pinkeln.
» Kann ich mal aufs Klo? «
» Klar, komm mit. Das Bad ist oben. «
Obwohl sie deutlich das Gefühl hatte, dass sie besser gehen sollte, folgte sie Joyce wie ein Roboter die Treppe hoch. Das Hemdchen rutschte auf den Pobacken ihrer Freundin hin und her.
Sie schloss sich im Bad ein und stützte den Kopf in die Hände. Irgendwann verließ sie den Raum wieder und folgte dem schwachen Licht, das aus dem Zimmer kam. Als sie eintrat, sah sie Joyce auf dem Bett sitzen, den Rücken an die Wand gelehnt. Neben ihr lag, vollkommen nackt, Chico Manga… exakt der Typ, den sie in Erinnerung hatte.
» Hallo « , sagte er und winkte, ein dümmliches Lächeln auf den Lippen.
Im Raum hing der süßliche Geruch von Marihuana und mischte sich mit dem von Sandelholzräucherstäbchen. Sarah Clarice hatte das Gefühl, dass ihr Kopf vollkommen hohl war und sich vom Körper ablöste. Wie in einer Höhle hallten die Geräusche darin wider. Sie setzte sich auf einen Stuhl und starrte durchs Fenster in die Dunkelheit hinaus.
Als sie sich wieder zum Bett umdrehte, küssten sich Joyce und Chico Manga, um es kurz darauf, wie nach einer Überblendung im Film, auch schon miteinander zu treiben. Sarah Clarice riss die Augen auf und starrte auf die bleichen Beine ihrer Freundin und auf Chico Mangas mächtigen Körper. Wäre einer der beiden jetzt aufgestanden und hätte sie bei der Hand genommen, sie hätte sich widerstandslos auf alles eingelassen.
Stattdessen schlich Sarah Clarice hinaus, stand schon bald in der feuchten Luft auf der Straße und stürzte sich ins nächstbeste Taxi.
Zu Hause angekommen, lief sie die Treppe hoch und warf sich aufs Bett. Sie hatte einen Kloß im Hals. Langsam streifte Sarah Clarice Jeansrock und Slip ab.
Dass vor ihrem Haus ein weißer Wagen stand, hatte sie nicht bemerkt.
17
Der Artikel stand auf Seite elf des Tarde und nahm zwei Spalten ein. Die Überschrift war eher nichtssagend:
VERBRECHEN IN SOBRADINHO : NOCH KEINE SPUR
Der Text war ebenfalls langweilig. Er war in dem typischen perfekten, aber blutleeren Stil der nationalen Journalistenakademie verfasst. Der Mann schrieb, dass Nelson Bragas Leiche in einem Brunnen auf einem verlassenen Grundstück etwa sechs Kilometer vor Sobradinho gefunden wurde, und bestätigte, was der Polizist ihnen gesagt hatte, dass nämlich ein anonymer Anruf zu dem Opfer geführt habe. Das Verbrechen habe eine vermögende Familie getroffen, schrieb der Journalist. Nelson Braga sei nämlich mit einer überragenden Persönlichkeit des lokalen Unternehmertums, mit Sandra Bittencourt, der Tochter des verstorbenen › Papayakönigs ‹ Adolfo Bittencourt, verheiratet gewesen. Der Journalist führte dann aus, dass der Bruder des Opfers, der berühmte Biochemiker Matheus Braga, den Leichnam identifiziert habe. Sarah Clarice konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen: Der Typ hatte es offensichtlich mit › Königen ‹ , › Berühmtheiten ‹ und › überragenden Persönlichkeiten ‹ . Gott sei Dank hatte er sie nicht zur › renommierten Soziologin ‹ befördert, als er sie als eine der letzten Personen, die Nelson Braga lebend gesehen hatten, vorstellte und mit den Worten zitierte, Doktor Braga sei in Juazeiro ein hochangesehener Mann gewesen. Der Artikel schloss mit der Information,
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