Durst: Thriller (German Edition)
dass Nelson nach Ansicht des Gerichtsmediziners an den Folgen der Folter gestorben sei.
Sarah Clarice faltete die Zeitung schnell zusammen. Der Samstagmorgen war heiß, und über dem Hauptplatz von Pelourinho hing ein dunkelgrauer Himmel, der die Farben der alten Sobradas zum Leuchten brachte. Sie hatte keinen Bedarf an weiteren Schreckensmeldungen, vor allem nicht nach der Nacht, die sie hinter sich hatte.
In einer Bar in der Nähe ihrer Wohnung bestellte Sarah Clarice einen Kaffee, eine saftige Papaya, eine Sojamilch und Müsli. Eigentlich sollte sie sich entspannen, aber sie konnte diese unterschwellige Nervosität einfach nicht abschütteln. Sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie Joyce’ Einladung angenommen hatte, nur um dann wie ein dummes Schaf einer pornoreifen Szene beizuwohnen. Andererseits und obwohl sie es nicht gern zugab, bereute sie es aber auch, geflüchtet zu sein. Sarah Clarice schnitt die Papaya in Würfel und gab sie zusammen mit dem Müsli in die Sojamilch.
Plötzlich kniff sie die Augen zusammen. Moment mal… Im Nu saß sie kerzengerade auf dem Stuhl und schlug die Zeitung wieder auf. Schnell blätterte sie zu der Seite mit dem Artikel über Nelsons Tod. Wie hatte sie das nur übersehen können?
Auf der anderen Seite befand sich in der Rubrik › Wissenschaft ‹ ein Artikel, der sich über die gesamte Breite erstreckte. Ein Foto zeigte Professor Ricardo Barcellos. Und die Überschrift ließ sie auf ihrem Stuhl erstarren:
DIE REINIGUNG DES SAO FRANCISCO :
EINE ERFOLGSGESCHICHTE AUS BAHIA
Ricardo Barcellos stellt eine revolutionäre Methode
zur Reinigung von Trinkwasser vor.
Plötzlich lag ihr ein Stück Papaya quer im Magen, und ein bitterer Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus. Die Überschrift und die Unterzeile las Sarah Clarice gleich zwei Mal. Dann trank sie schnell einen Schluck Sojamilch, streckte die langen, nackten Beine aus und las weiter.
Also, Herr Professor, erzählen Sie uns doch bitte von dem Projekt.
Wir befinden uns noch im Experimentierstadium, aber schon jetzt würde ich sagen, dass die Resultate ermutigend sind.
Können Sie uns denn schon etwas über die Technik verraten? Wie zu hören ist, handelt es sich um eine vollkommen neuartige Methode.
Das ist nicht ganz falsch. Wir versuchen, Wasser vollkommen anders zu behandeln, als man es in der Vergangenheit getan hat.
Erklären Sie uns das doch bitte.
Wir versuchen, das Problem der erneuten Verunreinigung zu beheben. Wenn Sie das Kolosseum– um nur mal ein Beispiel zu nehmen– in den glanzvollen Zustand der Antike zurückversetzen, bedeutet das nicht, dass es automatisch gegen die Gefahr des neuerlichen Verfalls geschützt ist.
Sie zielen also auf eine einmalige und dabei endgültige Reinigung des Wassers ab?
Endgültig würde ich nicht sagen, das ist nicht der Punkt. Es geht darum, das Wasser als ein Element zu behandeln, das sich selbst gegen bestimmte Krankheiten wehren kann. Das würde dann bestimmte Formen des erneuten Qualitätsverlusts automatisch ausschließen.
Denken Sie an so etwas wie einen gentechnisch veränderten Organismus?
Ganz genau, auch wenn der Vergleich ein wenig hinkt. In gewisser Weise können wir es aber so ausdrücken.
Wir stehen also an der Schwelle zu einer entscheidenden ökologischen Wende?
Alle unsere Kräfte gelten dem Ziel, die Lebensqualität unserer Bevölkerung zu verbessern. Das Paradoxe ist, dass die Menschen, die unter Wassermangel leiden, mehr als alle anderen mit den Problemen der mangelhaften Wasserqualität zu kämpfen haben. Sie haben zwei Feinde, nicht nur einen. Deshalb denken wir über selbstregenerierendes Wasser nach.
Der Himmel hatte sich verdüstert. Auf dem Platz standen zwei Barockkirchen, deren Umrisse in der Gewitterstimmung noch bedrohlicher wirkten. Sarah Clarice legte Geld auf den Tisch und machte sich auf den Heimweg.
Wind kam auf. Ein Gewitter stand bevor, und allem Anschein nach kein leichtes. Sarah Clarice ging langsam und dachte nach. Ihre Augen waren noch schwer von der Nacht, aber der frische Wind tat gut. Sie ging in den Laden vor ihrem Haus, füllte eine Tüte mit Gemüse und kaufte außerdem eine Vierhundertgrammpackung Tofu und zwei Päckchen Yakisoba, japanische Nudeln, die sie später mit dem Gemüse in die Pfanne werfen würde. Die Zeitung steckte sie ebenfalls in die Plastiktüte. Als sie bereits vor der Haustür stand, beschloss Sarah Clarice ihren Spaziergang trotz des schwarzen Wolkengebräus am Himmel noch etwas zu
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