Durst: Thriller (German Edition)
» Danke, Bruno. Ich freue mich auf die Lektüre. «
» Nichts zu danken. Ist interessant, das Buch. «
Die Verlegenheit wurde durchbrochen, als jemand einen Toast aussprach. Dann erhob sich einer nach dem anderen von der Tafel, die in diesem Moment so aussah, als hätten hier Kinder Krieg gespielt.
Antônio Netto hielt sich ein wenig abseits und bot Sofia an, sie nach Hause zu bringen, was sie gerne annahm. Der alte Josef wurde in die Obhut seines Chauffeurs übergeben und verschwand im Nieselregen. Elisabetta eilte zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her, während Paulo seinen Sohn bat, ihn noch ins Arbeitszimmer zu begleiten. Bruno schaute ihn leicht misstrauisch an.
» Ich muss mit dir reden, wenn du noch zehn Minuten Zeit hast. «
» Sicher. «
Nach einer kurzen Verschnaufpause rauschte der Regen jetzt wieder lautstark herab. Vermutlich würde es in São Paulo wie immer zu Überschwemmungen kommen.
Paulo setzte sich in einen der gewaltigen Ledersessel und bedeutete seinem Sohn, in dem anderen Platz zu nehmen. Bruno blieb stehen, als wollte er seinen Vater ermahnen, zur Sache zu kommen. Zehn Minuten, hatte er gesagt.
Paulo sparte sich die Vorreden. » Du weißt von der Sache mit den Schweizern? «
» Sicher « , sagte Bruno und starrte ihn an.
» Und du weißt auch, dass sie für das Unternehmen wichtig ist. Fundamental sozusagen. «
» Ja. «
Paulo wandelte die Realitäten leicht ab. » Mittlerweile geht es auch um Land. «
Bruno presste die Lippen zusammen. » Das glaub ich gern. Es geht schließlich immer um Land. «
» Sicher. Allerdings haben wir Yaraibi abgetreten. «
Bruno traute seinen Ohren nicht. » Wie bitte? «
» Die Fazenda in Paraná ist jetzt Bestandteil des Vertrags. «
Bruno blieb stumm.
» Ich weiß, Bruno « , fuhr der Vater fort. » Es tut mir leid. Wir hatten aber keine andere Wahl. Ich denke allerdings, wir sollten uns bei Gelegenheit einmal zusammensetzen und ein paar Dinge regeln, in Hinblick auf das Land in Mato Grosso, Minas und so. Für die Zukunft. «
Bruno hatte einen Kloß im Hals. » Für die Zukunft? «
» Ja. «
» Ist das schon beschlossene Sache, Papa? Ist das letzte Wort zu Yaraibi bereits gesprochen? «
» Ja, Bruno, so leid es mir tut. « Paulão sah, dass Brunos Kinn zitterte. Bevor er aber seine hundertzwanzig Kilo aus dem Sessel wuchten konnte, hatte sein Sohn das Zimmer schon verlassen. Er hörte, wie er ein Taxi rief und die Tür hinter sich zuknallte. Dann hörte Paulão nichts mehr.
Im selben Moment eilte in Rio de Janeiro ein Mann eine kurvige Gasse hinunter, ließ die Favela Santa Teresa hinter sich und ging in Richtung des lebhaften Viertels Lapa. Sein Plan war es, in eine Bar zu gehen, ein Bier zu trinken und seine Gedanken zu sortieren. Der Herbst war in Rio bereits fortgeschritten, doch es war noch heiß. Carlo Apostolo wurde von einer merkwürdigen Euphorie gepackt. So ging es ihm immer, wenn er eine gute Story an der Hand hatte.
Er lebte schon viele Jahre in Rio und wusste, dass es nicht gefährlich war, diese Straße am späten Abend hinunterzugehen. In der letzten Kurve der Joaquim Murtinho stand wie immer ein Streifenwagen der Militärpolizei und behielt im schwachen Licht einer Laterne die Gegend im Blick. Carlo ging vorbei, ohne sich umzudrehen, und begab sich direkt zu den Bars an der Avenida Mem de Sá.
In der einen Seitentasche seiner Bermudashorts hatte er den Notizblock, in der anderen das Aufnahmegerät. Sehen konnte man beides nicht, und so war er einfach irgendein Typ, der von der Favela Morro do Coroa nach Lapa hinunterging, um ein Bier zu trinken. Das Interview war gut gelaufen, aber irgendetwas flößte ihm Unbehagen ein. Es war offensichtlich, dass diese Floriana ihre Geschichte lange für sich behalten hatte. Die Geschichte bot aber Stoff für ein ganzes Buch, nicht nur für einen Artikel.
Als er an diesem Nachmittag im Internet herumgesurft war, war er auf eine kurze Meldung gestoßen. Ein Arzt in Juazeiro, Nelson Braga, war ermordet worden. Gefoltert und anschließend ermordet. Carlo hatte die Zeilen ein paar Mal gelesen, und seine Hand auf der Maus hatte leicht gezittert. Er hatte Schuldgefühle, weil er Floriana nichts davon gesagt hatte. Ihm war klar gewesen, dass sie es nicht wusste und es vielleicht auch nicht so schnell erfahren würde. Hätte er es ihr aber erzählt, hätte sie sofort dichtgemacht.
Jetzt wusste Carlo alles. Sein Instinkt riet ihm zwei Dinge, die leider nicht miteinander vereinbar waren:
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