Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
immer nur falsch. Bei allem und jedem. Ich bin keine Menschenkennerin. Ich kenn mein eigenes Herz nicht. Ich bin stolz, hochmütig und stur. Ich reiß die Knöpfe von DeMalos scheußlichem Kleid ab. Will’s gerade ausziehen, da ist plötzlich Tommo hier, die dunklen Augen entschlossen. Ich zuck zusammen, mein Herz rast, ich bedeck mich schnell wieder. »Tommo! Schleich dich nicht so an mich ran!«
»Ich muss mit dir reden«, sagt er.
»Nicht jetzt«, sag ich, »dafür ist jetzt keine Zeit. Später, ich versprech’s.«
Er guckt mir in die Augen. »Du kannst mich nicht ewig hinhalten«, sagt er. Dann nickt er. »Später.«
Als er nicht mehr zu sehen ist, reiß ich mir das Kleid runter und scharr die Erde an den Baumwurzeln weg. Ich stopf es tief zwischen die Wurzeln. Vergrab es. Vergrab ihn.
»Genau das, was ich brauch, noch mehr Ärger. Ärger. Omeingott, was, wenn ich ein Kind in mir trag? Nein, nein, denk nicht dran. Wenn ich nicht dran denk, kann es auch nicht sein. Wo ist Nero bloß hin? Als wenn ich nicht schon genug Sorgen hätte.«
»Saba?« Das ist Molly. »Du führst Selbstgespräche«, sagt sie. »Hier. Ich helf dir schnell.«
Ich spring auf. »Nein, schon gut, ich –«
Aber sie zieht mir schon ein zerlumptes Unterhemd übern Kopf. Ihr Blick wandert über die Mädchenuntersachen, die ich anhab, über die Stiefel.
»Halt still.« Sie fängt an, meine Geburtsmondtätowierung zu übermalen, taucht den kleinen Finger in zwei Töpfchen mit brauner und weißer Paste und mischt sie auf dem Handrücken, bis die Farbe so wie die von meiner Haut ist. »Wo bist du gewesen? Wo hast du die schönen Kleider her?«
»Die sind von Cassie«, wiederhol ich meine Lüge. Wenn ich sie oft genug erzähl, glaub ich sie vielleicht irgendwann selbst.
»Na gut«, sagt sie, »dann behalt deine Geheimnisse eben für dich. Du riechst gut. Was ist das? Wacholder?«
»Ich weiß nicht«, sag ich.
»Okay, das wäre versteckt. Und in den Sachen siehst du wirklich jämmerlich aus. Das wird gehen. So …« Sie mustert mich gründlich, während sie in der kleinen Tasche an ihrer Taille wühlt. »Deine Haare …« Sie zieht einen Kamm raus und kämmt mich, zupft an mir und geht um mich rum. Bevor ich’s merk, bevor ich sie aufhalten kann –
»Oh!« Sie verstummt. Sie hat’s gesehen. An meinem Nacken. Das Zeichen von meinem ersten Mal. Seinen Mund. Seine Lippen.
Vor allen anderen hast du mich erwählt, Saba.
Sein Geruch auf meiner Haut. Seine Stimme in meinem Kopf. Sein Zeichen auf meinem Körper.
Sie kämmt meine Haare drüber. »Na bitte«, sagt sie. »Na also. Gut siehst du aus.«
Mir kommen die Tränen, weil sie so freundlich zu mir ist. Ich nehm ihre Hand mit dem Kamm. »Molly«, flüster ich. Unsere Blicke treffen sich. Die wunderschöne Molly. So zäh, so freundlich, so traurig.
»Du bist jung, Saba«, sagt sie. »Das bedeutet dir jetzt vielleicht nicht viel, aber vielleicht ist das, was ich dir jetzt sag, irgendwann für was gut. Das Leben ist nicht schwarz und weiß. Die Menschen auch nicht. Es ist alles viel verwickelter. Je länger ich leb … desto weniger weiß ich sicher. Besonders wenn’s um Herzenssachen geht. Wisch dir die Tränen ab. Wer er auch sein mag, er wird nicht wegen dir weinen. Das tun Männer nie. Das ist das Einzige, wobei ich mir sicher bin. So, jetzt mach deine Stiefel ein bisschen dreckig.« Sie tätschelt mir die Wange, und wir gehen zurück zu den anderen. »Sie kommt!«, ruft sie.
A ls ich mich endlich ein bisschen zusammengerissen hab, sind die anderen schon unterwegs zur Straße. Tommo und Creed führen die Pferde zwischen den Bäumen durch, während Bram, Lugh und Ash den Wagen über den schmalen Pfad schieben. Molly und Maev hinken ein Stück hinterher und warten auf mich.
»Fertig?«, fragt Molly.
Tracker ist an einem großen Baum angebunden, an einem kurzen Seil. Bram hat entschieden, dass wir ihn besser hier lassen. Tracker winselt und guckt besorgt. Hier trennen sich unsere Wege, seiner und meiner. Ich kann gar nicht hingucken.
»Komm her, Schwester«, sagt Slim. »Nimm den müffelnden alten Mann mal in die Arme, bevor du gehst.« Unbeholfen zieht er mich in eine einarmige Umarmung. »Guck in meine rechte Tasche«, murmelt er. Ich steck die Hand rein, Maev und Molly können das nicht sehen. Ich zieh eine kleine blaue Flasche raus. »Der geräuschlose Feind«, flüstert er. »Es heißt Eccinel. Ein Tropfen in eine volle Tasse, und ein Mann schläft acht Stunden. Zwei
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