Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
den Rücken. Eine Frau hebt grüßend die Hand. Unauffällig, so dass der Tonton es nicht sehen kann. Ich nick zur Antwort. Ich frag mich, was sie falsch gemacht haben, um in Ketten zu enden. Wahrscheinlich gar nichts, außer die falsche Sorte Mensch zu sein. Nicht in die neue Ordnung zu passen.
Mit jedem Drehen der Räder, mit jedem Rattern des Wagens wiederholt sich in meinem Kopf, was DeMalo gesagt hat. Die Alten und die Kranken. Die Kranken und die Schwachen. Die Alten und die Kranken und die Schwachen.
Kostbare Naturschätze. Wasser und Land.
Menschen wie ich. Menschen wie wir.
Die Jungen und die Starken.
Manche Menschen. Alle Menschen.
Ich denk über seine Worte nach. Wer verdient einen Anteil von dem bisschen, was es gibt? Wer entscheidet das?
Habe ich dich etwa belogen?
Die Lügen, die im Schatten der Wahrheit lauern.
E s dämmert langsam. Bald ist Ausgangssperre. Mein Magen krampft sich zusammen vor Aufregung. An den ersten zwei Kontrollpunkten sind wir ohne Probleme vorbeigekommen. Bram hat ihnen das Passwort zugeschrien, das zur Farbe der Fahne am runtergelassenen Tor gepasst hat, und die Tonton haben es hochgezogen und uns durchgewinkt. Vor einer Weile haben wir die Farmen hinter uns gelassen. Vor uns verschwindet die Straße, wird verschluckt von einer gewaltigen Ebene mit riesigen Felsblöcken, großem Geglitzer und Steinplatten, teilweise so hoch wie zehn Männer.
»Das Feld des gefallenen Bergs«, sagt Bram. »Jetzt kommt Resurrection jeden Augenblick in … da ist es.«
Jetzt können wir es sehen.
»Heilige Scheiße«, sagt Creed.
So ein riesiges Abwrackergebäude hab ich noch nie gesehen. Eine massive steile Betonmauer ragt aus der felsübersäten Ebene drunter hoch. Sie ist eine halbe Meile lang und sieht genauso hoch aus.
»Wie war das noch mal«, sagt Maev, »wie hoch hast du gesagt ist das?«
»Ich würde sagen, gut zweihundert Meter«, sagt Bram.
Und da sind auch die vier Stockwerke mit den vielen Fenstern ganz oben in der gewaltigen Mauer. Ansonsten ist das Ding gesichtslos. Massiv.
»Da ist das Torhaus«, sagt Bram.
Es steht an dem Ende, das uns am nächsten ist. Von hier aus ist es nur ein Punkt. Alles ist genauso, wie er’s uns gesagt hat, als er den Plan mit uns durchgegangen ist. Er hat’s gezeichnet, wir haben’s gesehen, ich hab’s mir vorgestellt, aber jetzt, wo ich’s wirklich seh, die ungeheure Größe –
»Unglaublich«, sag ich.
»Wie soll das gehen?«, fragt Tommo.
»Jetzt weiß ich, wie sich ein Floh fühlt«, sagt Molly.
Sie guckt grimmig. Wie wir alle. Nur Ash nicht. Ihr Mund ist zu einem halben Lächeln verzogen. »Flöhe quälen einen«, sagt sie. »Sumpfflügler können einen töten, und ein kleiner Dorn – so klein, dass man ihn kaum sieht – kriecht einem unter die Haut, und nach einem Weilchen ist die Hand entzündet. Man verliert vielleicht ein paar Finger oder die ganze Hand. Vielleicht kriegt man sogar eine Blutvergiftung und stirbt. Winzige Sachen können eine Menge Ärger machen. Kopf hoch, Leute!«
»Na gut«, sagt Bram, »wir kommen jetzt zum letzten Kontrollpunkt. Um diese Tageszeit haben die anderes im Kopf. Die wollen nur noch das Tor für die Nacht dichtmachen und das Abendessen aufs Feuer kriegen.«
Links vor uns steht eine Hütte mit Steinwänden und einer Tür zur Straße. Als wir näher kommen, können wir das Tor sehen. Es ist hochgezogen. Keine farbige Fahne. Das Rumpeln von unseren Rädern holt einen Tonton aus der Hütte. Er hält ein Stück Fladenbrot in der Hand und kaut. Als er sieht, wer’s ist – vier Tonton mit einer Wagenladung Gefangene –, winkt er uns einfach durch und geht wieder rein.
»Was hab ich euch gesagt?«, sagt Bram. Er schnalzt, und das Pferd läuft schneller.
Wir sind erst zehn Meter weiter gekommen, da kommt ein anderer Tonton um die Hütte rum. Zupft seine Kleider zurecht. Der Ruf der Natur. Als er uns sieht, schreit er was und rennt los. Die andere Wache kommt aus der Hütte geschossen, um das Tor runterzulassen. Bram flucht.
»Was ist los?«, fragt Ash.
»Hier dürfte kein Befehlshaber sein«, sagt er. »Der ist zu weit oben in der Rangfolge. Na gut, sie halten uns an. Kein Problem, das haben wir schon mal gemacht. Kein Blickkontakt, und ich übernehm das Reden.« Er lässt Ted langsamer gehen. Der Tonton, der den Befehl hat, kommt auf die Straße.
»Lang lebe der Wegbereiter!«, ruft Bram und legt die Faust aufs Herz.
Wir machen auch alle das Zeichen. Der Befehlshaber auch. Bram
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