Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
Hinter jeder dieser Türen ist ein Fenster. Der See müsste links von mir sein. Das Feld des Gefallenen Bergs rechts. Okay, ich weiß, wo ich bin. Das ist immerhin was.
Unsere Schritte hallen. Der Befehlshaber geht zackig über den Steinboden. Ich kann mich nicht zu Tommo umdrehen. Als wir auf andere Tonton zukommen, gehen sie zur Seite und drücken sich mit dem Rücken an die Wand, bis wir vorbei sind. Plötzlich bleibt der Befehlshaber stehen. »Von hier an übernehme ich sie selbst«, sagt er den beiden Wachen. »Du da« – er nickt Tommo zu –, »bleibst hier.« Die Tonton grüßen mit der Faust überm Herz, machen kehrt und marschieren im Gleichschritt den Weg zurück, den wir gekommen sind. Jetzt sind nur noch Tommo, Nero, der Befehlshaber und ich hier.
Er zupft an seinem Gewand rum. Will den Wegbereiter beeindrucken. Mich abliefern und alle Anerkennung dafür einheimsen.
»Du siehst gut aus«, sag ich.
»Halt die Klappe!« Er reißt an meinen gefesselten Händen und zieht mich hinter sich her. Der Gang geht immer weiter. Wir haben schon eine Weile niemand mehr gesehen. Ich muss es drauf ankommen lassen. Ich guck schnell zurück zu Tommo. Er nickt. Mach’s jetzt. Sofort!
Ich werf mich seitlich gegen den Befehlshaber. Bring ihn aus dem Gleichgewicht. Nero greift an. Haut mit dem Schnabel zu, flattert mit den Flügeln. Der Befehlshaber reißt die Hände hoch, um sein Gesicht zu schützen. Tommo stürmt ihn an und wirft ihn gegen die Wand. Der Mann knallt mit dem Hinterkopf gegen den Stein. Sackt auf dem Boden zusammen.
Wir warten kurz. Keine rennenden Schritte. Keine Aufschreie. »Bind mich los«, sag ich zu Tommo.
Während er das tut, guck ich mich um. Ein kleines Stück vor uns ist an der rechten Seite eine geschlossene Tür. Als ich frei bin, lauf ich hin und guck rein. Der Raum ist leer. Durchs Fenster scheint das bläuliche Frühabendlicht. Tommo zerrt schon den Befehlshaber zum Raum, das Seil hat er auf ihn fallen lassen. Nero sitzt auf dem Seil. Ich nehm die Füße. Wir legen ihn in den Raum, fühlen nach einem Puls. »Er lebt noch«, sag ich zu Tommo.
Wir knebeln ihn mit seinem eigenen Halstuch. Fesseln ihn mit seinem eigenen Gürtel, die Knöchel an die Handgelenke. Wickeln das Seil in enge Schlaufen. Wir atmen beide schwer. Ich guck aus dem Fenster. Es ist ein ganz schönes Stück bis zum Feld des Gefallenen Bergs da unten. Ein steiler schwindelerregender Fall.
»Und jetzt?«, fragt Tommo.
»Wir halten uns an unseren Teil vom Plan«, sag ich. »Bring das Seil an. Hier in diesem Stockwerk, irgendein Fenster zum See.«
»Und wenn sie Emmi nicht finden können?«, fragt er.
»Wir müssen uns gegenseitig vertrauen«, sag ich. »Wir müssen einfach unseren Teil vom Plan erledigen. Okay, raus hier.«
Er hängt sich das Seil über die Schulter. Ich nehm Nero. Wir verriegeln die Tür und sperren den Befehlshaber ein.
»Träum was Schönes«, sag ich.
Wir laufen den Gang lang, aber nach nur drei Schritten fällt mir was auf. Der Herzstein kommt mir warm vor auf der Haut. Ich fass ihn an. Nicht sehr warm. Aber ein bisschen. Ich krieg eine Gänsehaut. Bleibe stehen. Dreh den Kopf und guck zurück.
Keiner da. Das Zimmer mit der verriegelten Tür und dem ohnmächtigen Befehlshaber drin. Eine tropfende Wandkerze. Dahinter Dunkelheit. Ich dreh mich wieder um.
Tommo wartet auf mich. Er winkt mir, ich soll mich beeilen. Mit jedem Schritt auf ihn zu kühlt der Herzstein sich mehr ab. Als ich bei ihm bin, ist er kalt. Ich guck mich noch mal um.
Jack. Er ist irgendwo in der Nähe. Die rote Hitze regt sich in mir.
»Was ist los?«, flüstert Tommo.
Ich guck ihn an. »Du gehst weiter und bringst das Seil an«, sag ich. »Ich komm nach, ich find dich schon. Ich hab noch was zu erledigen.«
Er runzelt die Stirn. »Was? Nein, wir müssen zusammenbleiben, Saba.«
»Ich brauch nicht lang.«
»Dann komm ich mit dir.«
»Nein, das ist was, was ich allein machen muss.«
Er will widersprechen, also küss ich ihn. »Vertrau mir, Tommo. Hier, nimm Nero mit.«
Ich übergeb ihm Nero. Tommo zögert, starrt mich an. Gedanken huschen über sein Gesicht. Dann, mit einem Nicken, mit unglücklichem Gesicht, geht er los.
Ihn einfach so zu küssen. Obwohl ich weiß, was er fühlt, was er jetzt denken muss. Verzeih mir, Tommo. Aber es hat sein müssen.
Er hat meinen Bogen mitgenommen. Aber das ist nicht schlimm. Ich zieh das Messer aus dem Stiefel. Tapp leise durch den Gang zurück. Der Herzstein wird langsam
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