Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
du glaubst, du hast Tracker gesehen.«
»Hab mich wohl geirrt. Lugh sagt, ich hab geschlafwandelt. Tracker würde nie ohne Mercy irgendwohingehen.«
Sie zögert, guckt mich von der Seite an, dann sagt sie: »Ich mach mir Sorgen um dich, Saba.«
»Brauchst du nicht.«
»Tja, tu ich aber. Du bist doch nicht krank, oder? Du würdest mir doch sagen, wenn du krank wärst?«
»Nein«, sag ich. »Bin ich aber nicht.«
»Bloß weil ich erst neun bin, bin ich kein dummes kleines Kind. Das müsstest du mittlerweile wissen.« Sie beugt sich dicht zu mir. »Sag’s nicht Lugh«, flüstert sie, »aber ich hab die Sterne gefragt, wie ich dir helfen kann.«
»Fang damit gar nicht erst an, Emmi. Du weiß, was Lugh übers Sternedeuten denkt.«
Genau da ruft er: »Hey, Em, hätt ich fast vergessen! Guck, das ist Fred!«
»Was?« Ihr Gesicht leuchtet auf wie die Sonne. Sie springt hoch und saust rüber zu den Jungs. Erleichtert atme ich auf. Ein Hund mit einem Knochen ist gar nichts gegen meine Schwester.
Em hat so eine Wäscheklammerpuppe, Fern, die Pa gemacht hat, als sie zwei gewesen ist. Sie ist Lugh bis zum Gehtnichtmehr auf die Nerven gegangen, damit er ihr einen Ehemann für Fern schnitzt. Seit sie die Idee gehabt hat, nennt sie das verdammte Ding Fred.
»Du hast ihn heimlich gemacht, ich hab keine Ahnung gehabt!« Sie nimmt Fred von Lugh entgegen. Schnappt nach Luft und lacht zugleich. »Nein!«, ruft sie. »Lugh, du hast seine Nase riesig gemacht! Das ist gemein von dir … Oh, das musst du in Ordnung bringen, Fern möchte einen schönen Mann.«
Lugh schüttelt den Kopf und sagt: »O nein, Fern hat mir selbst gesagt: Schnitz mir einen besonderen Mann, bitte, Lugh. Achte drauf, dass du ihm eine schöne große Nase machst.«
»Hat sie nicht!«
»Guck mal, was ich gemacht hab, Em!« Tommo greift in die Tasche und gibt ihr ein Stück Holz.
»Oh!« Verdutzt mustert Emmi das Ding, dann strahlt sie Tommo an. »Das ist gut, Tommo. Du hast ein Schwein gemacht!« Sie drückt sich die Nase platt und grunzt wie ein Ferkel. Sie spielt immer alles vor, damit Tommo weiß, was sie meint. Das braucht sie gar nicht. Er kann gut von den Lippen ablesen, wenn man nicht zu schnell redet.
Er runzelt die Stirn. »Kein Schwein«, sagt er. »Fred, der Jüngere. Ihr Sohn.«
Das Geheul eines Wolfshunds zerreißt die Nacht. Nicht weit weg. Wir erstarren. Ein anderer Hund antwortet. Dann noch einer. »Wolfshunde«, sagt er.
Emmi erschauert, die Augen aufgerissen. »Die klingen nah«, sagt sie.
»Nein«, sagt Lugh, »die sind weit weg.« Aber er zieht seine Armbrust und den Köcher zu sich heran. Wirft mehr Holz aufs Feuer, damit es stärker brennt. »Keine Angst, Em, dein böser großer Bruder hält die bösen großen Wölfchen fern.«
Emmi kuschelt sich an ihn. Er legt den Arm um sie. »Hey, Lugh«, sagt sie, »was sagen die Sterne über das Große Wasser?«
Fehler. Sie weiß es, sobald die Worte raus sind.
Lughs Gesicht verfinstert sich. »Wie oft muss ich dir das noch sagen, Em? Sternedeuten ist Quatsch. Verrückte und Einfaltspinsel, die glauben da dran.« Seine Stimme ist barsch, sie klingt wie eine Peitsche.
Emmi sagt: »Aber Pa hat immer –«
»Das reicht!«, sagt Lugh.
Tommo entschärft die Lage. »Erzähl eine von deinen Geschichten, Lugh«, sagt er. »Sag, wie’s sein wird, wenn wir zum Großen Wasser kommen.«
Er geht zu Lugh und setzt sich zu seinen Füßen hin. Beugt sich vor, damit er ihm von den Lippen ablesen kann. Damit er kein einziges Wort verpasst. Tommo kann gar nicht genug kriegen von Lughs Geschichten darüber, wie’s im Westen ist. Genau genommen kann er gar nicht genug kriegen von Lugh. Punktum.
Ikes Tod hat Tommo schwer getroffen. Er trauert immer noch, und kein Wunder. Ike hat ihn aufgenommen, nachdem er ihn im Stall vom One-Eyed Man gefunden hatte, wo er sich ausgehungert und halb verwildert versteckt hatte. Er hat ihn aufgenommen, hat ihm was beigebracht und ihn drei Jahre lang Sohn genannt. Tommo wird ihn niemals vergessen. Aber in letzter Zeit ist mir aufgefallen, wie genau er Lugh beobachtet. Er hat angefangen, Lugh nachzumachen. Seinen Gang, wie er die Zügel hält und seinen Hut trägt. Bei Ike hat er das auch immer so gemacht. Ikes Fassung von Tommos Geschichte klingt so: Tommos echter Pa ist eines Tages auf die Jagd gegangen und nicht zurückgekommen. Er hat seinem Sohn – »einem tauben kleinen Jungen, ist das zu fassen, das jemand so was tut?«, hat Ike gefragt und den Kopf
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