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Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Titel: Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moira Young
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verkrüppelte Baum. Bleich, silberweiß.
    »Ich soll meine Waffe wieder in Händen halten«, sag ich.
    Er hält mir den Bogen hin. Bietet ihn mir an.
    »Wirst du ihn nehmen?«, fragt Auriel.
    Ich nehm ihn.
    »Der Bogen hat ihm gehört«, sagt sie. »Meinem Großvater Namid. Dem Krieger, der Schamane geworden ist. Und jetzt gehört er dir.«
    Ich spür, wie glatt er ist. Wieg ihn in der Hand. Er fühlt sich gut an. Wahr. Ich heb den Bogen. Leg einen Pfeil ein. Er schmiegt sich in meine Hände. Als ob er ein Teil von mir wär. Meine Hände bleiben ruhig und sicher. Kein Beben. Kein Zittern.
    »Er besteht aus einem einzigen Stück Holz«, sagt sie. »Er wird niemals zerbrechen. Das Kernholz der uralten Weißeiche.«
    Dann ist der Schamane weg. Ich steh allein am Rand der Welt. Und ich halt den weißen Bogen in Händen. Ich ziel auf den Baum, der jetzt frische grüne Blätter trägt. Die Silberrinde am Stamm und an den Ästen rau und lebendig.
    Ich schieß.
    Der Baum spaltet sich in der Mitte. Ein Blitz fährt vom Himmel. Eine Windbö. Dann das Grollen, das Donnern von Hufschlägen.
    Der Baum ist weg. Ein Körper liegt da. Liegt da auf dem Boden. Auf dem Rücken. Bewegt sich nicht. Mein Pfeil steckt in seinem Herz.
    Ich steh neben ihm. Knie mich hin. Streck die Hand aus. Nach dem dunkelroten, blutroten Schal, der das Gesicht verhüllt. Ich zieh ihn weg.
    Es ist Lugh. Er ist tot. Mein Pfeil steckt in seinem Herz.
    Ich zieh den Schal weg. Es ist Jack. Tot. Mein Pfeil steckt in seinem Herz.
    Dann bin ich es.
    Dann DeMalo.
    Er macht die Augen auf.
    Er lächelt.

    » E r sieht mich«, sag ich. »Er kennt mich.«
    »Schon gut«, sagt sie, »es ist gut, ich hab nicht richtig – ich möchte, dass du noch mal an ihn denkst. Ihn dir vorstellst. Wehr dich nicht dagegen.«
    Groß. Schwarzes Gewand. Rüstung aus Metall, Brustrüstung und Armbänder. Lange dunkle Haare, zurückgebunden. Ein wachsames Gesicht. Stark, mit breiten Wangenknochen. Augen, so dunkel, dass sie fast schwarz sind.
    »Ah«, haucht sie. »Sag mir seinen Namen.«
    »DeMalo.«
    »Was sieht er? Was weiß er?«
    »Die Schatten«, sag ich. »In mir.«
    »Wir müssen sie uns angucken«, sagt sie. »Wir müssen uns angucken, was da ist. Bist du bereit?«
    »Ja.«
    »Hab keine Angst. Ich bin bei dir, Saba.«
    Ich fahr über einen See in den Bergen. In einem Rindenkanu. Ich paddel. Nero hockt auf dem Bug, ein zerrupfter Schatten. Er guckt nach vorn.
    Mein Lotse. Mein Wächter. Meine Krähe.
    Es ist pechschwarze Nacht. Es ist bitterkalt. Über mir stechen die Sterne vom Himmel. Wie Eissplitter.
    Das Wasser teilt sich, wo mein Kanu durchgleitet. Ich tauch das Paddel ein und zieh durch. Tauch es ein. Zieh es durch.
    Ich guck nicht über den Bootsrand. Ich wag keinen einzigen Blick. Wenn ich hinguck, wenn ich’s wagen würde, könnt ich’s sehen. Auch wenn es dunkel ist. Ich würde runter, runter, runter gucken bis zum Grund. Bis auf den uralten Grund des Sees. Wo Dunkles kauert. Wo Altes wartet. Wo es kauert und wartet … auf mich.
    »Guck nach unten«, sagt Auriel.
    »Saba! Saba!« Das ist Lughs Stimme.
    »Bleib da, Saba. Bleib dabei, wir sind fast fertig.« Auriels Stimme ist ruhig.
    »Saba! Hey, Saba! Komm schnell!«
    Lugh. Er ruft. Lugh. Er braucht mich.
    »Saba!«, ruft er.
    »Lugh«, sag ich.
    »Rühr dich nicht vom Fleck«, flüstert Auriel.
    Ein Rascheln. Das Rasseln der Armbänder. Kühle Luft dringt ins Zelt, schneidet durch die Hitze. Ich erschauere. Auriel ist rausgegangen.
    Ich steig aus der dunklen Tiefe auf. Komm langsam hoch aus der dunklen Tiefe. Mein Ich setzt sich wieder zusammen.
    Ich spür den harten Boden unter mir. Die Luft im Zelt ist stickig. Drückend. Heiß. Ich lieg auf der Seite, die Knie an die Brust gezogen. Ich zitter. Meine Zähne klappern. Ich frier, und im nächsten Augenblick brenn ich. Ich hab Druck im Kopf. Er pocht.
    Die Pflanze. Der Kaktustee. Ich hab sie reingelassen. Hab mich ihr hingegeben. Hab sie in mir losgelassen. Stimmen. Zu laut. Sie tun mir weh im Kopf. Lugh. Emmi. Tommo. Ich kann nicht verstehen, was sie sagen. Sie reden alle durcheinander. Durcheinanderpurzelnde Worte. Auriels Stimme auch, leise und drängend.
    »Das ist mir egal, sie muss sofort kommen!« Lughs Stimme. So nah, so laut, wie eiskaltes Wasser. Seine Hand auf meinem Arm, die mich schüttelt. »Saba, komm schon, wach auf!«
    Da versuch ich, die Augen aufzumachen, und er zieht mich hoch, so dass ich sitze, und Auriel sagt: »Lugh, hör auf! Du weißt

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