Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
Fels. Vor Aufregung krampft sich mein Magen zusammen. Ein gelber Wagen rumpelt in Sicht. Gezogen wird er von einem –
»Das ist ein verdammtes Kamel!«, zischt Lugh.
Ein von Flöhen zerfressenes Wrack von einem Kamel watschelt vor dem klapprigen Wagen her.
Der Fahrer singt. Als er näher kommt, können wir die Worte verstehen.
Sie war Königin meines Herzens einen Sommer lang,
doch als golden sich färbte alles Laub,
floh sie aus meinen Armen, eh ein neuer Tag begann,
brach mein Herz, trat mein Glück in den Staub.
Er hat uns fast erreicht.
»Hüa!«, brüllt Maev. Sie gibt Hermes die Fersen, und sie stürmen auf den Pfad, direkt vor den Wagen. Hermes bäumt sich auf und wiehert. Maev bändigt ihn mit den Knien. In jeder Hand hält sie einen Bolzenschießer.
Der Fahrer zieht heftig an den Zügeln. »Brr!«, ruft er. »Brr, Moses!«
Das Kamel schreit. Es trampelt und scheut und versucht, Hermes auszuweichen. Lugh und ich packen seine Zügel. Staub fliegt auf. Der Wagen schaukelt, kippt zu einer Seite, dann kommt er allmählich zur Ruh. Der Fahrer greift zwischen seine Füße.
»Hände hoch, oder ich schieße!«, schreit Maev.
Er erstarrt. Setzt sich langsam auf und hebt die Hände über den Kopf.
Lugh und ich zerren mit aller Kraft an den Zügeln des Kamels. Es wehrt sich, brüllt und spuckt und verdreht die Augen. Dann setzt es sich plötzlich hin, und wir werden zu Boden geschleudert. Aber wir stehen gleich wieder auf und greifen nach unseren Armbrüsten. Zielen auf den Fahrer.
Der Wagen ist ein hoher Holzkasten. Leuchtend gelb angemalt, mit Sonnen und Monden überall drauf. Das Ganze ist eine ziemlich wackelige Angelegenheit, von Seilen und Ketten zusammengehalten. Der Wagen steht schief. Vorn hängen zwei Laternen dran. Hinten ist eine kleine Tür.
Tommo reißt sie auf und guckt rein. »Alles in Ordnung«, ruft er Maev zu.
Sie lächelt den Fahrer an. »Geld oder Leben.«
D er Fahrer starrt uns an. Wir starren ihn an.
Er ist ein einäugiger, dickbäuchiger, kahlköpfiger alter Kauz. Mit einer dreckigen Augenklappe, buschigen Koteletten und einem Hals wie der von einem Ochsenfrosch. Er trägt ein rosa Frauenkleid.
»Das ist ein Überfall«, sagt Maev. »Wir nehmen deinen Wagen und dein Kamel.«
»Und wenn ich nein sag?« Seine Stimme quietscht wie eine rostige Türangel.
»Dann töte ich dich«, sagt sie. »Deinen Wagen und dein Kamel nehmen wir trotzdem, aber du kannst uns zum Abschied nicht mehr zuwinken. Runter vom Wagen. Mein Partner hier hilft dir gern. Wir haben dich im Auge, also keine Dummheiten.« Mit dem Bolzenschießer deutet sie auf Lugh. Er wirft ihr einen bitterbösen Blick zu. Aber er hängt sich die Armbrust um und hält dem Fahrer die Hand hin.
Der alte Knabe ist ziemlich dick. Er schnauft und verzieht das Gesicht, als er vom Fahrersitz runterklettert. Dabei stützt er sich so schwer auf Lugh, dass sie fast beide zusammenbrechen. Ich nehm den Feuerstab des Fahrers und werf ihn Tommo zu.
Maev ist von Hermes abgesprungen. »Durchsuch ihn«, sagt sie zu Lugh.
»Mach’s selber«, sagt er.
Der Fahrer grinst. »Meuterei in den unteren Rängen, was?« »Halt die Klappe«, sag ich. Ich taste ihn ab. »Er ist sauber.«
»Schon mal mit einem Kamel zu tun gehabt?«, fragt er.
»Er heißt Moses, richtig?«, fragt Maev. »Wir werden gut für ihn sorgen, keine Sorge.«
»Ach, ich mach mir da keine Sorgen«, sagt er.
»Guck nach, was er in seinem Karren da hat«, sagt sie zu mir.
»Verzeihung, Schwester«, sagt er, »aber das Kosmische Kompendalorium ist kein gewöhnlicher Karren. Wenn ihr erlaubt …?«
»Mach fix«, sagt sie.
Beide Seitenwände vom Wagen lassen sich öffnen. Der Fahrer bindet das Seil an der rechten Seite los und weicht zurück, als krachend die Klappe runterfällt. Es ist ein großer Schrank, mit Regalen und Schubladen, vollgestopft mit Flaschen und Dosen und Gläsern in allen Formen und Größen.
»Ein Quacksalberwagen«, sag ich.
Schnell zählt er seine Waren auf. »Heil- und Stärkungsmittel, Brech- und Abführmittel. Kontrazepters, Afrodiserkums und Stimmelanzien. Öle und Salben, Tees und Wässerchen, Pulver und Tränke und Pillen.« Er holt Luft und redet weiter. »Ich lass euch zur Ader, entschlacke euch, entferne euch die Hühneraugen, prüf euren Stuhl und befrei euch von Würmern. Ich schneide Haare, richte gebrochene Knochen, zieh Zähne und stech Furunkel auf. Ich biete eine Rundum-Augenpflege mit einer großen Auswahl an Brilluren an und eine
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