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Dustlands - Die Entführung

Dustlands - Die Entführung

Titel: Dustlands - Die Entführung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moira Young
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nachdem er es ein Mal durchgesungen hat, fängt er wieder von vorne an. Es dauert nicht lang, da hab ich nicht nur das Lied und seine Stimme satt. Ich hab’s auch satt, von der kühlen Annie zu hören.
    Was für ein bescheuertes Lied. Ich mein, wie blöd muss man sein, um es bei so einer Kratzbürste auszuhalten?

    O hne stehen zu bleiben, riskier ich einen Blick auf meine verletzte Schulter. Zieh ganz langsam und vorsichtig das Hemd runter. Getrocknetes Blut klebt am Stoff, zieht an der Wunde. Ich beiß mir auf die Lippe, damit ich nicht aufschreie. Jack ist immer noch irgendwo hinter mir. Lass es ihn nicht hören. Es ist nur ein Riss in der Haut. Aber er sieht ziemlich tief aus. Pocht ganz ordentlich.
    Trotzdem, die Schmerzen sind nicht schlimmer als die nach einem harten Kampf im Käfig. Das sag ich mir immer wieder. So beherrscht man die Schmerzen. Ich muss jetzt nur das tun, was ich früher auch getan hab. Meinen Kopf von dem abtrennen, was mein Körper fühlt. Mir weismachen, dass es jemand anderem passiert.
    Denk an was anderes.
    Denk an Lugh. Denk dran, wie er ausgesehen hat, als du ihn zuletzt gesehen hast. Wie er überm Pferd gehangen hat, an Händen und Füßen gefesselt, wie ein Tier.
    Sie haben meinen Vater getötet. Sie haben meinen Bruder geraubt.
    Es ist die Wut, die mich durchhalten lässt.
    Ich fühl sie heiß in meinem Bauch. Überall in mir.
    Hitze.
    So heiß.

    W enn ich Emmi und die anderen eingeholt hab, säuber ich meine Schulter und verbind sie mit … mit Rinde. Das ist es, ich verbind sie mit … womit noch gleich?
    Meine Füße sind so schwer. Als ob irgendwas unten an meine Beine gebunden wär. Muss weitergehen. Muss … wo will ich noch gleich hin? Oh, richtig. Zu Lugh, das war’s. Aber ich muss mich kurz … hinsetzen. Nur ganz kurz.
    Ich lass mich fallen.
    Es ist Nacht. Eigentlich müsste es kühl sein, aber ich schwitz wie ein Pferd. Ich will mir mit dem Ärmel die Stirn abwischen, aber mein Arm … kann den Arm nicht heben. Jetzt weiß ich wieder. Meine Schulter. Muss wohl … entzündet sein.
    Muss Lugh finden.
    Ich bin bloß so … müde. Muss … mich … hinlegen …

    I ch bin fünf Jahre alt. Es ist ein sonniger Tag. Ich bin am Ufer vom Silverlake. Allein. Eine Brise zerzaust mir die Haare. Das Wasser plätschert leise.
    Ich sitz in der Hocke und häuf flache Steine auf, alle weiß, einen auf den anderen. Und zähl sie dabei.
    Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben!
    Ein Schatten fällt auf mich. Ich guck hoch. Es ist Pa. So wie er gewesen ist, als ich klein gewesen bin. Bevor Ma gestorben ist. Dichte schwarze Haare, lächelnde Augen, stark, gutaussehend.
    Sieben, Pa! Guck mal!
    Er kauert sich neben mich. Nimmt meine Hand.
    Sie werden dich brauchen, Saba, sagt er. Lugh und Emmi. Und da werden noch andere sein, viele andere, die auf dich zählen, und du wirst manchmal allein entscheiden müssen. Gib der Angst nicht nach. Sei stark, ich weiß ja, dass du stark bist. Und gib niemals auf, hörst du, niemals. Egal, was passiert.
    Ich lächel ihn an.
    Werd ich nicht, sag ich. Ich bin kein Schisser, Pa.
    So ist’s recht, sagt er.
    Dann ist er weg. Einfach so. Verschwunden.
    Pa! Ich spring auf. Wo bist du, Pa? Komm zurück!
    Seine Stimme hallt nach, schwebt davon, wird immer leiser. So ist’s recht, ist’s recht, ist’s recht.
    Pa! Ich guck mich um, suche verzweifelt nach ihm.
    Aber er ist weg. Der Silverlake ist ausgetrocknet. Der Boden unter meinen Füßen und so weit, wie ich gucken kann, ist ausgedörrt und rissig.

    D unkelheit. Stimmen. Wütend. Sie schreien. Aber ich kann die Worte nicht verstehen.
    Dann hört alles auf.
    Weißes Licht blitzt auf. Und Epona steht da. Allein. Dunkelheit überall um sie rum.
    Das einzige Geräusch ist das, was mein Herz macht. Poch, poch, poch.
    Epona guckt hinter sich, als ob da was wär. Dann dreht sie sich wieder um. Sieht mich. Nickt.
    Und alles passiert ganz langsam. So langsam, dass ich sehen kann, wie sie blinzelt. Ich kann sehen, wie ihre Lippen sich bewegen, als sie tief durchatmet.
    Poch, poch, poch macht mein Herz.
    Sie rennt auf mich zu. Breitet die Arme aus und hebt den Kopf. Sie springt.
    Weißes Licht blitzt auf.
    Und die Welt zerspringt in tausend Stücke.

    J ack! Ich glaub, sie ist wach! Emmis Stimme.
    In meiner rechten Schulter pocht es dumpf. Ich hör ein Feuer prasseln. Jemand kniet sich neben mich. Legt mir eine Hand auf die Stirn. Sie ist schwielig, kühl. Fühlt sich gut an auf meiner warmen Haut.

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