Dustlands - Die Entführung
den Rand vom offenen Platz.
Wir kauern uns hinter die Chaalbüsche. Die Blätter wachsen so dicht, dass sie uns gute Deckung geben. Die Sklaven sind offenbar völlig außer sich. Sie springen über die Feuereimer. Sie tanzen und singen und drehen sich wie wild. Das Getrommel dröhnt in meinem Körper. Das Stampfen von all den Füßen erschüttert den Boden. Die Flöten quietschen. In der Luft liegt der süßliche Geruch von brennenden Chaalblättern.
Vikar Pinch sitzt auf seinem goldenen Stuhl. An einer Seite von ihm steht DeMalo, an der anderen Seite ein anderer Tonton. Pinch hält irgendwas in der Hand. Sieht aus wie ein großes Horn. Er hält es sich an den Mund. Ich sehe, wie seine Lippen sich bewegen, als ob er was sagen würde, aber das Trommeln und Singen ist zu laut.
DeMalo zieht einen Bolzenschießer aus seinem Gewand. Schießt damit in die Luft. Drei Mal. Bei jedem Schuss gibt es einen kleinen Blitz und einen lauten Knall.
Vor lauter Schreck hört alles auf. Von jetzt auf gleich. Das Trommeln, das Tanzen, das Singen.
Das ist gar kein Bolzenschießer!, flüster ich Jack zu.
Das ist ein Feuerstab, sagt Jack. Dem musst du unbedingt aus dem Weg gehen.
Die Sklaven gucken jetzt zur Plattform, völlig außer Atem. Ihre Gesichter und Körper glänzen vor Schweiß im Licht der Feuer, und ihre Augen glänzen auch und gucken wild. Pinch spricht in sein Horn.
Kinder des Lichts!, ruft er. Seht euren König!
Seine Stimme schallt durchs ganze Tal.
Die Sklaven brüllen und recken ihre Fäuste in die Luft.
Euer König ist allmächtig! Weise! Barmherzig!
Nach allem, was er sagt, brüllen sie zur Antwort.
Er ist der Brunnen des Lebens! Der Quell des Überflusses! Die Erde selbst beugt sich seinem Willen!
Der ist ja völlig verrückt, sagt Epona.
Und wie, sagt Ike.
Kinder des Lichts!, ruft Pinch. Heute Nacht! Hier an diesem Ort! An Mittsommer! Erreicht die Sonne, unsere Mutter, hoch am Himmel den Zenit ihrer Macht! Und heute Nacht! Erreicht auch die Lebenskraft des wintergeborenen Prinzen ihren Zenit! Die Sonne! Der Mond! Ihre Macht ist die Macht eures Königs! Heute Nacht werden diese Mächte vereint! Vereint durch das Feuer! Und euer König wird neugeboren werden!
Er breitet die Arme aus. Und die Sklaven drehen durch.
Guckt doch mal!, zischt Epona. Drüben am Palast!
Ich halt mir den Weitgucker ans Auge.
Eine Gruppe Tonton kommt die Treppe runter und geht den Pfad lang.
Sie marschieren immer zu zweit nebeneinander.
Die ersten vier leuchten mit ihren Fackeln den Weg.
Die nächsten vier tragen einen liegenden Mann auf den Schultern. Das Fackellicht glitzert auf einem langen blonden Zopf.
Es ist Lugh.
D as ist er, flüster ich. Das ist Lugh. Er lebt.
Und plötzlich kommen mir die Tränen.
Ich hab sie so lange zurückgehalten. Ich hab so lange nach ihm gesucht.
Jack nimmt mich in die Arme. Drückt mein Gesicht an seine Schulter. Lautlose Schluchzer schütteln meinen Körper.
Schsch, sagt er. Nicht jetzt. Das ist nicht der rechte Zeitpunkt. Hör auf, Saba.
Ich heb den Kopf. Ich hab solche Angst gehabt, dass er tot ist, sag ich. Ich hab nie was davon gesagt, aber –
Ich weiß, sagt Jack, ich weiß. Aber er lebt, und jetzt holen wir ihn da raus. Okay?
Ich atme ein paar Mal tief durch. Lös mich von ihm.
Wisch mir über die Augen.
Tut mir leid, sag ich. Ja. Okay.
Okay, alle Mann, sagt Jack, es ist so weit. Ich nehme jetzt den Weitgucker. Epona und ich müssen für unsere Ablenkung genau den richtigen Zeitpunkt aussuchen.
Ich geb ihm das Ding, und er drückt meine Hand. Viel Glück euch allen, sagt er. Nutzt jede Gelegenheit aus, die sich euch bietet, aber seid vorsichtig. Wir sehen uns bei den Ställen.
Holen wir uns diese Dreckskerle, sagt Ike.
Jack und Epona schleichen sich nach links weg.
Ike und ich gehen nach rechts. Wir steuern auf den Palast zu. Huschen geduckt durch die Reihen mit den Chaalbüschen, damit uns keiner sieht. Wo die Chaalfelder an die Palastgärten angrenzen, halten wir an. Kauern uns neben dem Pfad hinter die Büsche. Auf dem Weg zur Plattform müssen sie direkt an uns vorbei.
Die Tontongruppe mit Lugh geht gerade um den Brunnen rum. Dann nehmen sie den Weg durch die Gärten, immer zu zweit nebeneinander. Vier Fackelträger vorne. Vier mit Lugh auf den Schultern. Sechs als Nachhut. Sie marschieren im Takt der Trommeln. Und sie singen beim Marschieren. Denselben Gesang wie die Sklaven.
Die beiden letzten Tonton kommen ein Stückchen hinter den anderen.
Das sind
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