Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)
den Blick noch immer auf den nassen Haufen aus Kleidern und Fleisch gerichtet. »Wie ist es hierhergekommen?«, fragte Mom leise.
Ich zuckte die Achseln. Das war nicht Teil meiner Ausbildung. Ich stellte fest, dass meine Hände zitterten.
»Vielleicht hat es unter Wasser festgesteckt, bis es seinen eigenen Arm abreißen und sich befreien konnte«, sagte Mom. »Vielleicht ist es beim Hochwasser im Frühling stromabwärts getrieben. Ich schätze, das werden wir wohl nie erfahren.« Sie schaute auf die 9 mm auf dem Tisch und sah dann mich an. »Wann hast du die Waffe gekriegt?«
»Dad hat sie mir gegeben. Sei nicht sauer.«
»Ich bin nur ein bisschen sauer, weil du es mir nicht gesagt hast. Ich wusste, dass du bald eine eigene Waffe brauchen würdest. Du und dein Dad müsst mir schon verzeihen, dass ich den Zeitpunkt so lange wie möglich hinauszögern wollte.«
Ich stand auf, dachte an all das, was ich bei meiner Ausbildung gelernt hatte und erinnerte mich an meine Pflichten. »Denkst du, wir können es auf dem Parkplatz verbrennen, ohne gleich ein Buschfeuer zu entfachen?«
Sie zitterte, während sie unsere Sachen zusammensuchte. »Ich schätze, das müssen wir.«
»Ehret die Toten. Das ist unsere Pflicht.«
Wir schleppten es zum Parkplatz hinüber, sodass es in der Sonne trocknen konnte, während wir einen Haufen aus Gras und Ästen zusammentrugen. Wir legten die Leiche darauf und zündeten den Scheiterhaufen mit einem Messer und einem Stück Feuerstein an. Unglücklicherweise konnten wir, während er brannte, nicht aus dem Wind gehen, da wir ständig herumrennen und kleine Feuer austreten mussten, wenn der Funkenflug neue entfachte. Das Ganze war eine qualmende, widerliche Angelegenheit, die viel länger dauerte, als uns beiden lieb war.
Als alles vorbei war und wir aufbrachen, fragte ich mich, ob wir diesem toten Mann Ehre erweisen sollten, indem wir öfter hierherkamen und Erdbeeren pflückten, oder ob wir ihn stattdessen ehren sollten, indem wir diesen Ort für so leichtherzige Dinge wie das Ernten leuchtend roter kleiner Beeren direkt neben seinen verbrannten Überresten mieden. Ehrerbietung, Heiligkeit und Entweihung schienen im Leben sehr dicht beieinanderzuliegen. Ich starrte auf den Rücken meiner Mom – ich war mir nicht sicher, wie sie darüber dachte. Sie hatte mich ziemlich überrascht, weil sie während des ganzen Angriffs so ruhig geblieben und so gefasst und gleichgültig damit umgegangen war, was wir hatten tun müssen. Und auch wenn ich eher die Art der Ehrerweisung bevorzugte, die das Pflücken von Erdbeeren einschloss, konnte ich nicht sagen, ob das vielleicht nur daran lag, dass ich Erdbeeren mochte. Ich würde Milton danach fragen – ich selbst war nicht in der Lage, zu entscheiden, was richtig war. Vielleicht beides. Vielleicht aber auch weder noch.
Kapitel 8
In den folgenden Tagen erkundeten Lucy und ich weitere Lagerräume. Ich entdeckte so viele Bücher, dass ich einige aussortieren und mich entscheiden musste, welche ich zuerst lesen und welche ich einfach liegen lassen wollte, etwa Bücher zu Steuergesetzen oder über das Programmieren von Computern. So konnten die anderen darin herumwühlen, denn das schien ihnen Spaß zu machen. Bislang hatten wir noch nichts gefunden, das Lucy genauso sehr mochte wie ich meine Bücher, aber ich war mir sicher, dass sich das bald ändern würde.
Sie war kein so visueller Mensch wie wir anderen: Glänzende, schimmernde oder bunte Dinge schienen sie nicht zu interessieren. Das erklärte wohl auch, weshalb sie sich ein Outfit ausgesucht hatte, dessen dunkle Farben überhaupt nicht zusammenpassten. Genau das mochte ich zwar an ihr, da es sie von den anderen unterschied, aber gleichzeitig machte es mich auch ein wenig traurig – ihr gutes Auge war so viel klarer und schöner als unsere, aber trotzdem war es ihr nicht auf dieselbe Weise von Nutzen. Zunächst konnte ich mich nicht an das passende Wort erinnern, aber dann fand ich es in einem meiner neuen Bücher: Es war ironisch, dabei aber nicht komisch im Sinne von lustig, sondern einfach nur traurig.
Lucy wirkte allgemein eher ernsthaft und nicht sonderlich empfänglich für Humor. Sie schien jedoch tatsächlich zielstrebig in den Kisten zu suchen, fest entschlossen, etwas zu finden, das wir bisher noch nicht entdeckt hatten. Nachdem wir den ganzen Morgen gesucht hatten, ließ ich mich am Nachmittag immer auf dem Sofa nieder, um zu lesen, aber sie suchte auch dann noch weiter. Es machte mir
Weitere Kostenlose Bücher