Dylan & Gray
Kurzstreckenlauf die Arme bewegungslos an die Seiten gepresst. Er zeigt mir ein Foto als Beweis, während er davon erzählt. Alle auf der Aschenbahn haben sie angestarrt, aber sie war zu beschäftigt, an ihnen vorbeizusprinten, um die Blicke zu bemerken.
»Ich will gar nicht wissen, wie sie zur Toilette gegangen ist«, fügt Gray hinzu. »Die Frage habe ich mir immer verkniffen.«
Hinterher schrieb Amanda ein Essay über ihre Erfahrung. Es wurde in der Schülerzeitung veröffentlicht und gewann den Preis als kreativster Beitrag des Jahres. Noch heute redet man an der Schule davon. Ich würde den Artikel gerne lesen und Gray verspricht, ihn mir herauszusuchen.
Nach dem Frühstück fahren wir zu einer Galerie in Scottsdale, weil seine Schwester dort gejobbt hat. Wir gehen hinein und Gray zeigt mir eines von Amandas Kunstwerken, das als Erinnerung immer noch im Laden hängt. Es ist ein Mosaik aus allen möglichen Fundstücken. Wie Gray erklärt, konnte seine Schwester die seltsamsten Dinge wunderschön finden.
»Das habt ihr beide gemeinsam«, sagt er. Amanda sammelte Steine, Glasscherben und jede Art von Krimskrams, der vergessen am Wegesrand lag und von den meisten Leute als Müll bezeichnet worden wäre. Aber Amanda sah darin unendliche Möglichkeiten und konnte ihre Funde so zusammenfügen, dass verblüffend anmutige Objekte entstanden. Eines ihrer Werke hat sie für vierhundert Dollar verkauft, als sie gerade fünfzehn war.
»Amanda wollte Kunsttherapeutin werden«, erzählt Gray. »Sie hatte vor, mit Behinderten zu arbeiten und ihr eigenes Kunststudio zu eröffnen. Bestimmt wäre sie fantastisch gewesen.«
Bei dem Gedanken muss ich lächeln, auch wenn ich gleichzeitig traurig bin. Ich kann mich nur schwer damit abfinden, Amanda verpasst zu haben. Alles was von ihr bleibt, sind bruchstückhafte Geschichten. Wenn man normalerweise etwas verpasst – eine Party oder ein Rockkonzert –, handelt es sich um flüchtige Highlights, die sich nachholen lassen. Aber dieser Verlust ist unersetzbar und fühlt sich an, als habe man mir etwas Wertvolles gestohlen. Ich trauere um etwas, das ich nie besessen habe.
»Ich hätte Amanda gerne kennengelernt«, ist alles, was ich sagen kann.
»Du wärest von ihr begeistert gewesen«, sagt er. »Bestimmt hättet ihr ständig unter einer Decke gesteckt. Gruselige Vorstellung.«
Wir schlendern auf die andere Straßenseite zu einem Irish Pub namens »Nella«. Ganz hinten in der Kneipe befindet sich eine uralte Pacman-Maschine, nach der Gray und Amanda süchtig waren. Gray legt einen Stapel Münzen auf den Tisch neben uns und verschränkt die Arme vor der Brust.
Mit einem Nicken in Richtung der Konsole sagt er: »Ein weiterer Test für jede echte Freundschaft lautet: Was hältst du von steinzeitlichen Computerspielen?« Als Antwort greife ich nach einer Handvoll Münzen. Wie es der Zufall will, bin ich ein Fan von Pacman und genauso suchtgefährdet wie Gray. Als wir den Pub schließlich wieder verlassen, habe ich vom Spielen eine Blase auf dem Daumen. Einmal musste Gray mich gewaltsam von der Maschine wegreißen, weil ich mir fast die Schulter ausgerenkt hätte, um einem Geist zu entkommen. Als ich den zweiten Level erreichte, war er sichtbar beeindruckt. Bei Level vier starrte er mich nur noch ungläubig an.
»Okay, jetzt bin ich echt angeturnt« war sein Kommentar und ich merkte, wie ich rot wurde.
Am anderen Ende der Straße gibt es das Café Teeblatt, in das Amanda immer gegangen ist, um sich ein Milchmixgetränk zu holen. Wir bestellen uns beide einen Vanilleshake und fahren dann weiter zum Allerheiligsten, dem geheimsten Geheimziel des heutigen Tages. Codename Gleisplatz. Gray lässt mich beim Leben von Gürkchen schwören, dass ich niemandem von diesem Ort erzähle.
Wir fahren durch ein Industriegebiet, bis die Straße endet. Verborgen zwischen Sand und Wüstengestrüpp liegt ein Schotterweg, den man nur findet, wenn man danach sucht. Er windet sich um die Rückseite einer alten Zementfabrik herum. Wir folgen ihm, und Gürkchen holpert beleidigt durch die vielen Schlaglöcher. Schließlich erreichen wir die Betonpfeiler einer Autobrücke, die rostige Bahngleise überspannt. Gray erklärt mir, dass er während seiner Schulzeit die meisten Wochenenden hier verbracht hat. Er braucht mir nicht erst zu erklären, wieso er sich dieses Niemandsland zwischen Autoverkehr und Schienen ausgesucht hat. Jeder braucht einen Fluchtort, wo ihn niemand findet. Wenn man zu viel Zeit in
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