Dylan & Gray
wohl einseitig bleiben wird, kehre ich zu meinen Reiseplänen zurück. Aber es ist offensichtlich, dass Gray nicht zuhört. Sein Blick ist unruhig und voller Fragen.
Sie liebt mich?
Gray
»Gestern habe ich dich erschreckt, oder?«, fragt sie.
Dylan liegt an mich gekuschelt in der Hängematte, die wir im Garten befestigt haben. Meine Füße baumeln über den Rand und ich stoße mich am Boden ab, sodass wir hin und her schaukeln. Heute Nacht ist sie wieder zu Besuch gekommen … in ihrem Schlafshirt und den plüschigen Puschen (die natürlich beide einen Namen haben). Manchmal redet sie mit ihren Flauschpantoffeln, als wären sie Haustiere, und manchmal führen die Schuhe ausführliche Gespräche miteinander. Man könnte das als schizophren bezeichnen, aber ich sehe darüber hinweg.
Inzwischen schließe ich die Kellertür nicht mehr ab. Ich mag ihre unangekündigten Besuche, obwohl ich die ganze Nacht kein Auge zubekomme, wenn sie neben mir im Bett liegt.
Jetzt drücke ich Dylan enger an mich und sage, dass sie mich die ganze Zeit erschreckt, aber anscheinend brauche ich positive Schocks.
»Ich rede davon, was ich gestern im Café gesagt habe«, hakt sie nach. Ich muss schlucken und meine Kehle zieht sich zusammen, als wäre sie innerlich verknotet. Natürlich ist mir klar, wovon sie spricht. Sie meint drei ganz bestimmte Worte.
»Du weißt schon, dass ich dich liebe«, fährt sie fort. Anscheinend hat sie das Gefühl, dass ich es sonst nicht kapiere. »Ist es wirklich so schwierig, sich das sagen zu lassen?«
Ich schaue in Dylans Augen, die einen Schimmer von Mondlicht widerspiegeln. Mir ist unbegreiflich, wie sie dermaßen leicht darüber sprechen kann. Woher nimmt sie das nötige Selbstbewusstsein? Gibt es so etwas auf Rezept? Dann hätte ich gerne eine ganze Flasche voll. Ihr muss doch klar sein, dass sich damit alles verändert.
»Vor allem ist es schwierig auszusprechen«, sage ich.
Sie richtet sich in der Hängematte auf und schaut mich an. »Okay, das habe ich noch nie kapiert. Wieso geraten Leute deswegen in Panik? Ist doch unlogisch. Ich meine, sollte man nicht eigentlich im siebten Himmel sein?«
»Aber es ist so wichtig . Wie vielen Menschen hast du das bisher gesagt?«
Dylan denkt darüber nach. Ein paar Sekunden verstreichen. Dann fast eine Minute. Gab es in ihrem Leben schon so viele?
»Ich bin ziemlich sicher, dass ich es öfter gesagt habe, als ich klein war. In der Grundschule zu einigen Dutzend Jungs, in der High School zu ungefähr zehn. Meinen Freundinnen erzähle ich es ständig. Vor ein paar Tagen hat mir ein Typ an der Tankstelle beim Ölwechsel geholfen und ich habe ihm gesagt, dass ich ihn dafür total liebe.«
Stirnrunzelnd starre ich sie an. So viel zu meinem männlichen Stolz. Eben war ich noch überzeugt, dass Dylan mich liebt, nur mich und niemanden sonst. Dieses Seifenblasenschloss zerplatzt nun vor meinen Augen in der Luft.
»Du erzählst also ständig Leuten, dass du sie liebst?«
Sie blinzelt verwirrt. »Klar. Warum nicht?«
»Na ja, ich finde, man sollte damit nicht um sich werfen, außer man meint es wirklich ernst.«
»Aber ich meine es ernst«, sagt sie. Diesmal bin ich verwirrt. Und verärgert. Ich frage Dylan, wie sie gleichzeitig mich und einen Typen an der Tankstelle lieben kann, mit dem sie kaum fünf Minuten gesprochen hat. Sie benutzt das Wort zu leichtfertig.
Dylan schaut zur Seite und denkt darüber nach.
»Aber es gibt verschiedene Abstufungen von Liebe, oder nicht?«, sagt sie. »Liebe zwischen Freunden, zwischen Verwandten, platonische Liebe, romantische Liebe … Und bei der Romantik sind die Formen auch unendlich. Da gibt es verzehrende Liebe, hingebungsvolle Liebe, verzweifelte Liebe und dieses vertrackte Hassliebe-Dings … «
Ich halte ihr mit der Hand den Mund zu und sage, okay, schon kapiert.
»Trotzdem kann man im Leben nur ein paar Menschen lieben«, sage ich.
»Warum?«, will sie wissen.
Keine Ahnung. Manche Dinge sind eben, wie sie sind. »Weil man daran nichts ändern kann.«
»Aber das macht keinen Sinn«, widerspricht sie. »Warum sollte man Liebe begrenzen? Sie ist das Einzige, was wir völlig umsonst an alle verschenken können.«
»Liebe ist nicht umsonst. Man muss sie sich verdienen.«
»Traurige Vorstellung«, sagt sie. »Ich weigere mich, nur eine Handvoll Leute an mich heranzulassen. Wieso können wir nicht jeden lieben?«
»Weil die meisten Menschen blöde Nervtöter sind«, sage ich und streiche ihr eine Haarsträhne
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