Dylan & Gray
okay fühle. Mir geht es besser. Er freut sich, das zu hören.
Coach Clark erzählt mir von der letzten Saison, wo sie sich in der Rangliste der Collegeteams den achten Platz erkämpft haben. Die meisten im Team sind jung, haben aber großes Potenzial und halten eng zusammen. Richtig tolle Jungs, sagt er.
Ich frage mich, warum er mir das alles unter die Nase reibt. Will er mir ein schlechtes Gewissen machen? Ist er heute Morgen mit dem falschen Fuß aufgestanden und hatte das plötzliche Bedürfnis, meinen Tag zu ruinieren? Vielen Dank auch.
Und dann rückt er aus heiterem Himmel damit heraus.
»Gray, wann hast du das letzte Mal einen Ball angefasst?«, fragt er.
Ich versuche gar nicht erst zu schwindeln. Wozu auch?
»Letzten Herbst. Danach habe ich kein einziges Mal gespielt«, sage ich.
Es entsteht eine lange, peinliche Pause. So kommt es mir jedenfalls vor.
»Bist du inzwischen bereit, es wieder zu versuchen? Wir brauchen einen guten Werfer.«
Ich bin zu geschockt, um zu antworten. Mein Puls beginnt zu rasen.
»Gray«, sagt er, »wenn du interessiert bist, dann ist das Angebot immer noch offen. Wir würden uns freuen, dich im Team zu haben.« Er erklärt, dass einer seiner Nachwuchsspieler sich letzte Woche die Schulter verletzt hat und operiert werden muss. Für die nächste Saison fällt er aus, vielleicht sogar für immer. Coach Clark braucht jemanden, der seine Position in der Mannschaft ausfüllt. Und er will mich.
Ich erinnere ihn, dass ich völlig außer Übung bin. Aber er behauptet, eine fehlende Saison würde niemanden dermaßen aus der Bahn werfen, dass ein Comeback unmöglich sei. Am Anfang will er mich hauptsächlich zum Krafttraining schicken und ich müsste den Winter über an meiner Kondition arbeiten. Wenn ich jeden Tag hart trainiere, bin ich im Frühling fit genug für die neue Saison.
Die Bewerbungsfrist für die Hochschulkurse ist noch nicht abgelaufen, sagt er. Ich könnte sogar ein freies Zimmer in einer WG bekommen, die meine Teamkameraden auf dem Campus gegründet haben.
Ich bin sprachlos. Das ist alles viel zu einfach. Zu perfekt. Mein Leben läuft nie so problemlos.
Meine Finger fühlen sich an wie schlaffe Spaghetti und ich lasse fast das Handy fallen. »Ähm«, sage ich. Vielleicht träume ich nur, dass ich gerade mit Coach Clark spreche? »Das kommt alles ziemlich plötzlich«, stottere ich. »Und ehrlich gesagt kapiere ich nicht, wieso Sie mir eine zweite Chance geben.«
Er räuspert sich und meint, dass es manchmal seltsame Zufälle gibt. Am selben Tag, als sein Spieler ausgefallen ist, hatte er nämlich einen Brief auf dem Tisch liegen.
»Einen Brief?«, frage ich.
Darin stand, dass ich vielleicht bereit wäre, wieder mit dem Baseball anzufangen, falls das Team mich noch haben will. Meine Telefonnummer war beigefügt, so dass Coach Clark mich anrufen konnte. Eine Unterschrift hatte der Brief nicht.
»Ich nehme an, dass deine Eltern ihn geschickt haben«, sagt er.
Aber ich weiß genau, von wem der Brief stammt. Kopfschüttelnd sage ich: »Ja, kann schon sein.«
»Hör zu, Gray«, fährt der Coach fort. »Ich bin nicht sauer, dass du letztes Jahr das Stipendium abgelehnt hast. Niemand im Team macht dir deshalb einen Vorwurf. Und ich habe dich immerhin zwei Jahre lang im Auge gehabt. Du bist genau der Spieler, den ich für meine Mannschaft brauche.«
Mir fehlen die Worte. Meine Kehle ist wie zugeschnürt.
Etwas leiser fügt er hinzu: »Meine Mutter ist gestorben, als ich in deinem Alter war. Also kann ich mir vorstellen, was du durchgemacht hast. Du hast dich für deine Familie entschieden und das finde ich richtig. Damals bin ich auch eine Weile zu Hause geblieben und habe mein übriges Leben aufgeschoben. Aber irgendwann muss man sich wieder raus aufs Spielfeld wagen, verstehst du?«
Ich höre ihn schwer seufzen, als hätte er ein Thema angesprochen, das er sonst lieber vermeidet.
»Ja, schon klar«, sage ich.
Er will nicht gleich eine Entscheidung von mir. Ich soll erst darüber nachdenken und mit meinen Eltern reden. Bis nächste Woche habe ich Zeit für die Antwort. Wenn ich zum Team gehören will und bereit bin, dafür zu arbeiten, stehen mir alle Türen offen.
Nachdem das Gespräch beendet ist, starre ich aus dem Fenster auf eine Welt, die plötzlich ganz verwandelt aussieht. In nur fünf Minuten wurde sie total aus den Angeln gehoben. Als hätte ein Meteorit eingeschlagen und ein leuchtender Sternschnuppenregen prasselt auf mich herab. So blitzschnell
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