Dylan & Gray
ich wieder dran. Ich kann gar nicht glauben, dass ich hier mitspiele.
»Äh, du siehst gut aus, Meg«, sage ich. Total lahm, aber bei Impro-Theater war ich schon immer eine Niete.
Sie runzelt enttäuscht die Stirn.
»Du leider nicht, Tom«, sagt sie. »Dein Gesicht ist pummelig, dein Haaransatz wird täglich dünner, und sogar dein Hals hat Fett angesetzt. Deshalb hast du ein ganz merkwürdiges Doppelkinn. Das Alter ist dir nicht gut bekommen.«
Ich bin empört. »Hey, immerhin habe ich zwei Oscars. Und wie viel Botox hast du dir schon spritzen lassen? Wir wollen doch mal ehrlich sein, Meg. In deiner Karriere ist genauso viel Leben wie in deiner Mimik. Heutzutage schaffst du nur noch zwei Gesichtsausdrücke – glücklich, traurig, glücklich, traurig, mehr ist nicht drin.«
Dylan macht ein übertrieben trauriges Gesicht, und ich versuche, nicht zu lachen. »Das ist so typisch von dir, Tom. Ich wusste gleich, dass ich dich nicht leiden kann. Besonders, als du die Idee für meinen Backshop geklaut und Weihnachtskekse im Sommer verkauft hast«, sagt sie.
Ich schüttele den Kopf. »Du hast kein Patent auf Weihnachtskekse. Außerdem war das nicht persönlich gemeint. Geschäft ist Geschäft.«
Dylan sucht nach etwas Unsichtbarem zu meinen Füßen. »Wo ist Jonah?«
Ich falle aus der Rolle. »Häh?«
Dylan winkt ab. » Schlaflos in Seattle hast du anscheinend nicht gesehen.«
Als wir gerade zu der romantischen Kussszene kommen (der einzige Grund, warum ich mich überhaupt auf die ganze Aktion eingelassen habe), spaziert ein Ehepaar mit Kinderwagen in den Park und unterbricht uns. Sie entdecken uns Händchen haltend am Springbrunnen und die Frau lächelt. Der Mann sieht aus, als würde er sich für mich fremdschämen. Ich frage mich, wie viel von unserer Filmprobe sie mitbekommen haben. Dann merke ich, dass es mir total egal ist. Vielleicht färbt Dylans Schutzschild schon auf mich ab.
Wir winken dem Paar zu und verlassen den Park, während Boba uns hinterherschnauft.
Als wir wieder im Wagen sitzen und wegfahren, schaue ich Dylan von der Seite an. »Bleibst du bitte für immer in Phoenix?«, frage ich.
Sie lächelt, gibt aber keine Antwort. Ihre Augen werden plötzlich traurig, denn die Antwort lautet Nein. Die graue Wirklichkeit sickert zu mir durch und ich erinnere mich, dass die Sommerferien immer viel zu kurz sind. Das ist jedes Jahr so, aber dieses Mal ganz besonders.
***
Obwohl es schon nach Mitternacht ist, bin ich kein bisschen müde. Ich hocke in meinem Zimmer und schrummele auf der Gitarre. Vor mir auf dem Notenständer steht ein Rocksong von Wilco, aber ich bekomme die Griffe nicht hin, weil es mir kaum gelingt, an etwas anderes als Dylan zu denken.
Die ganze Zeit habe ich ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Ich bin froh, dass niemand mich beobachten kann. Garantiert sieht es dämlich aus, aber ich kann es nicht abstellen. Am Anfang hielt ich Dylan für verrückt und jetzt bin ich verrückt nach ihr.
Plötzlich klopft es an meinem Souterrain-Fenster. Ich stelle die Gitarre zur Seite und muss gar nicht erst die Jalousien hochziehen, um zu wissen, wer draußen wartet. Stattdessen gehe ich gleich durch die Kellertür in den Garten hinaus. Meine nackten Füße berühren trockenes, kratziges Gras. Die nächtliche Luft ist so warm, als würde man vor einem offenen Backofen stehen. Dylan wartet im Licht des Mondes. Sie trägt ein T-Shirt, Shorts und dazu riesige Flauschpuschen. Ich bin nicht der einzige, dem das Schlafen schwer gefallen ist.
Grinsend spaziere ich auf sie zu. »Möchtest du meine Telefonnummer haben?«, frage ich. Mir scheint es allmählich Zeit zu sein.
Dylan schüttelt den Kopf und erklärt, dass sie Telefonate hasse, weil sie so unpersönlich sind.
Dann schon lieber ein bisschen altmodisches Stalking, denke ich und biete ihr an, dass sie an mein Fenster klopfen kann, wann immer sie Lust hat. Ich hoffe, sie kommt regelmäßig an meinem Keller vorbei.
Dylan wirkt geradezu schüchtern. So habe ich sie noch nie gesehen. Normalerweise hat sie eine erschreckend selbstbewusste Ausstrahlung. Ich frage, ob etwas nicht in Ordnung ist. Sie schaut zu Boden und nestelt an dem Kordelzug ihrer Shorts herum.
»Ich konnte nicht schlafen«, gibt sie zu.
»Warum nicht?«, frage ich.
Da lächelt sie mich an. Ihr Gesichtsausdruck ist so niedlich und unschuldig, dass mein Herz einen Schlag aussetzt.
»Du hast mich heute nicht geküsst«, sagt sie. »Dabei habe ich es mir gewünscht.«
Das Blut
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