Dylan & Gray
meisten Konzerte waren in Phoenix, einige in Las Vegas. Ein paar auch in Los Angeles. Meine Augen bekommen ein manisches Funkeln.
»L. A. wollte ich schon immer sehen«, verkünde ich und bin überrascht zu erfahren, dass man mit dem Auto in nur sechs Stunden dort ist. Ich blicke auf Gray hinunter, der auf dem Teppich liegt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt hat. Dabei versuche ich mein Grinsen zu bezähmen, aber er errät auch so, was ich denke. Die Sommerkurse an der Uni sind vorbei, und wir wissen beide, dass er dieses Wochenende nicht im Videoladen arbeiten muss.
»Wann soll es losgehen?«, fragt er, ohne den Blick von der Zimmerdecke zu wenden.
»Gleich morgen früh?«, frage ich.
»Du bist total verrückt«, stellt er fest.
Ich nicke zustimmend und krabbele auf dem Teppich wieder an seine Seite. Klar, weiß ich doch, will ich sagen, aber da greifen seine Hände nach mir. Plötzlich liege ich oben auf ihm drauf und seine warmen Lippen verschließen mir den Mund, bevor ich antworten kann.
***
Wir starten zu einer menschenunwürdigen Uhrzeit (behauptet Gray), aber ich kann nun einmal nicht schlafen, wenn ganz Los Angeles darauf wartet, entdeckt zu werden. Bei der ersten Tankstelle machen wir einen Stopp, um Benzin aufzufüllen und einen Kaffee hinunterzustürzen, der uns für die lange Fahrt wachhalten soll. Dann geht es los in Richtung Westen, quer durch die Mojave-Wüste.
Wir erreichen L. A. am frühen Nachmittag und fahren direkt zum Santa Monica Beach, wo wir uns ein Hotelzimmer nehmen. Da wir uns die Kosten teilen, können wir uns sogar ein Zimmer mit Strandblick leisten. Wir stehen auf dem schmalen Balkon und starren auf die rauschenden Wellen, als wären sie Teil einer fremden Welt. Wenn man den ganzen Sommer in einer Wüstenstadt verbringt, hat das Meer einen seltsamen Effekt. An den besonders heißen Tagen in Phoenix beginnt man sich einzubilden, die ganze Welt sei verdorrt und Regen nur ein Mythos. Nun plötzlich eine Wasserfläche zu sehen, die endlos bis zum Horizont reicht, fühlt sich an, als sei die Realität auf den Kopf gestellt.
Ich ziehe mich im Badezimmer um, und als ich herauskomme, blinzelt Gray verwirrt, als würde er mich kaum noch erkennen. Die Kinnlade fällt ihm herunter, während seine Augen über mein Outfit wandern.
Ich lasse die Hände über meine seidig umhüllten Hüften gleiten. »Was denn? Ist doch nur ein Kleid«, sage ich. Aber natürlich verstehe ich seine Reaktion – immerhin ist das Kleid kurz, schwarz und bringt meine Kurven zur Geltung. Mom und meine Schwester haben mich letztes Jahr mit vereinten Kräften gezwungen, das Kleid zu kaufen. Sie haben es damals als den perfekten Männerköder bezeichnet. Ich trage es heute zum ersten Mal und anscheinend hatten sie recht. Wenn ich Grays Gesichtsausdruck korrekt deute, will er im Moment nur eines: mir das Kleid gleich wieder vom Leib reißen. Ich habe meine Haare glatt gekämmt und etwas Lidschatten, Eyeliner und Lippenstift aufgetragen. Im Vergleich zu meinem üblichen Look ist das eine radikale Verwandlung.
»Du hast ein Kleid??«, fragt Gray.
Ich werfe ihm einen ungläubigen Blick zu. Was für eine Frage! »Jedes Mädchen braucht ein kleines Schwarzes«, verkünde ich, als sei das ein Naturgesetz. Dann nehme ich ihn bei der Hand und zerre ihn aus dem Zimmer, bevor er beschließt, über mich herzufallen. Das können wir uns für später aufheben.
Wir überqueren den Ocean Drive, der von Restaurants und Souvenirshops gesäumt ist, und einen Fahrradweg, auf dem sich Inlineskater und Jogger drängeln. Dann stehen wir auch schon im sonnenwarmen Sand. Möwen lassen sich vom Wind tragen und sehen aus wie Wellenreiter auf einer unsichtbaren Strömung. Wir waten ein Stück in das kühle, schäumende Wasser hinein und spazieren am Strandsaum entlang bis zum Santa Monica Pier. Dort schlendern wir zwischen den Straßenkünstlern herum, beobachten Leute und fragen Wildfremde, ob sie uns knipsen können. Wir stellen uns in verkrampften Fotoposen auf – Gray hinter mir stehend und die Arme um meine Taille schlingend – und lächeln künstlich in die Kamera wie ein Pärchen beim Abschlussball.
Danach setzen wir uns wieder in Grays Wagen und fahren in die City, damit er mir die berühmteste Straße von L. A. vorstellen kann … den Sunset Boulevard. Wir essen Sushi und schauen dem dichten Verkehrsstrom zu, der an uns vorbeikriecht. Gray zeigt mir den Viper Room, das Roxy Theatre und die Whiskey Bar und erzählt von den
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