Dylan & Gray
den berühmten Hollywood-Schriftzug, der aussieht, als wäre er von ewigem Rampenlicht beschienen. Als ich mich umdrehe, um den Weg wieder zurückzugehen, hält Gray mich am Arm fest und zeigt auf ein offenes Parktor am Ende der Wanderstrecke. Wir gehen hindurch und stellen fest, dass wir am Mulholland Drive stehen.
Gray erklärt, dass es sich dabei um die bekannteste Aussichtsstraße in L. A. handelt. Sie windet sich in engen Kurven über die Hügel und verbindet die Villengebiete mit der City.
»Wir können hier später mit dem Auto langfahren«, schlägt er vor. »Einen besseren Blick auf die Stadt bekommt man nirgends.« Er will zurück durch das Tor gehen, aber da packe ich ihn am Shirt.
»Ich will die Aussicht lieber zu Fuß erleben. Jetzt gleich«, sage ich.
Wir stehen direkt an einer Kurve und schauen zu, wie ein Auto nach dem anderen mit überhöhter Geschwindigkeit um die Ecke biegt. Gray schüttelt den Kopf und erklärt, er sei die Strecke schon oft gefahren und habe noch nie einen Fußgänger gesehen.
»Wieso nicht?«, frage ich, gerade als ein Mercedes vorbeiprescht und mir fast das Knie abrasiert. Ich springe zurück und der Fahrer wird nicht etwa langsamer, sondern hupt uns an und steckt den Kopf aus dem Fenster.
»Ihr solltet mit dem Kiffen aufhören!«, brüllt er.
Gray nickt dem Typen zu. »Danke für den Tipp«, ruft er zurück und winkt. Ich winke ebenfalls mit breitem Grinsen.
»Niemand kann uns verbieten, eine Aussichtsstraße entlangzugehen«, sage ich störrisch, obwohl gerade ein weiteres Auto haarscharf an uns vorbeischießt.
Gray verdreht die Augen und gibt auf. Seine vernünftigen Einwände haben nie eine Chance gegen meine verrückten Ideen. Er bietet an, meine klobige Kamera zu tragen. Dann läuft er los und ich hinterher. Die Straße ist so steil, dass man automatisch immer schneller wird. Autos schrammen gefährlich nah an uns vorbei. Ich muss beim Rennen lachen und kann nicht wieder aufhören, weil niemand außer uns hirnverbrannt genug für so eine Aktion wäre (oder weil ich von den ganzen Abgasen high bin).
Wir finden bald heraus, warum der Mulholland Drive für Fußgänger wirklich nicht geeignet ist. Es gibt keinen noch so schmalen Bürgersteig, zum Teil fehlen sogar die Seitenstreifen. Jogging auf der Autobahn wäre gesünder.
Als wir eine Aussichtsplattform am Straßenrand erreichen, halten wir eine Weile an, um wieder zu Atem zu kommen. Gray zeigt mir den Highway 101, dessen dichter Verkehr sich unter uns entlang schiebt. In der Ferne sieht man die Hollywood Bowl, wo Gray schon ein paar Live-Konzerte miterlebt hat. Dann zieht er mich weiter und wir rennen wieder los. Dabei winken wir den Autos und Touristenbussen zu. Ich bekomme Seitenstechen, weil ich wieder gleichzeitig laufe und lache. Gray ruft über die Schulter, dass wir noch ein paar Meilen vor uns haben.
Irgendwann pendeln wir uns auf ein gleichmäßiges Tempo ein. Ich beginne im Lauftakt Like a Rolling Stone zu singen und Gray schmettert den Refrain mit. Meine Beinmuskeln brennen, Schweiß läuft mir über die Brust. Als der Mulholland Drive endlich zu Ende ist, geht er nahtlos in den Cahuenga Boulevard über. Diese Parallelstrecke zum Highway 101 ist schnurgerade und die Autofahrer benutzen ihn als Schnellstraße. Wir drücken uns eng an den Rand, denn noch immer ist kein Bürgersteig in Sicht. Manche Wagen rasen mit 120 km/h an uns vorbei. Ich weiß kaum, ob ich kreischen oder lachen soll. Als Gray fragt, ob alles okay ist, fehlt mir die Luft zum Antworten.
Eine Auffahrt zum Highway schneidet uns den Weg ab, und uns bleibt nichts übrig, als sie zu überqueren. Natürlich ist niemand bereit, für zwei Verrückte zu bremsen, die eine mehrspurige Straße als Joggingstrecke benutzen. Aber irgendwann ergibt sich eine winzige Lücke im Verkehr und Gray und ich rennen um unser Leben.
Wir schaffen es bis zur anderen Seite und als Belohnung erwartet uns bald darauf ein breiter Seitenstreifen, den wir als Bürgersteig benutzen können. Am Eingang zur Hollywood Bowl spenden Eukalyptusbäume Schatten. Gray hält an und sagt, ich soll ein Blatt zwischen den Fingern knicken und daran riechen. Wir nehmen beide eine ganze Handvoll und atmen den minzefrischen, süßlichen Duft ein. Nach den Abgasen ist das eine angenehme Abwechslung.
Als wir an der Franklin Street vorbei sind, geraten wir in einen Stau und laufen an Spuren voller ungeduldig wartender Autos vorbei. Reifen quietschen und Hupen dröhnen. Ich schaue mir
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