Dylan & Gray
perfektes Paar an gewöhnlichen Hürden scheitern kann? Wie soll man gegen das Schicksal ankämpfen?
E rstes Versprechen
Dylan
Heute Morgen bin ich abgereist.
Statt zu schlafen, hatte Gray die ganze Nacht an einem Abschiedsgeschenk für mich gebastelt: zehn selbst gebrannte Mix- CD s. Er musste selbst zugeben, dass er damit vielleicht ein bisschen übertrieben hat. Zuerst waren es nur zwei oder drei, dann entschied er, gleich eine runde Handvoll daraus zu machen. Nachdem fünf Stück fertig waren, wurde ihm klar, dass die Rapsongs fehlten. Natürlich konnte er mich nicht ohne Hip-Hop- CD abreisen lassen. Und so ging es weiter. Immer, wenn er fertig war, wurde noch ein letzter Mix mehr daraus. Ihm fiel ein, dass er Led Zeppelin und Lenny Kravitz vergessen hatte. Von Jimi Hendrix war auch noch nichts dabei. Außerdem konnte ich unmöglich fahren, ohne eine Sammlung der ultimativen Roadtrip-Songs mitzunehmen: Tom Petty, The Eagles, Bruce Springsteen, John Mellencamp … Um die Landschaft des Westens richtig zu würdigen, braucht man die passende Untermalung. Ohne American Girl , Easy Feeling , Born to Run und Jack and Diane ist das wie ein Film, dem der Soundtrack fehlt, behauptet Gray.
Die Titel der CD s erinnern an unsere Ferienerlebnisse. Sie heißen Mulholland für Jogger , Santa Monica und Camelback Mountain . Eine hat den Namen Unterwegs mit Boba und enthält ausschließlich sehr langsame Songs. Gray erklärte mir, das absolut Wichtigste beim Zusammenstellen einer CD sei der Titel, weil davon die ganze Stimmung abhängt.
Bei dem letzten Mix, den er mir gebrannt hat, kommt in jedem Lied das Wort ›Liebe‹ vor. Den mag ich am meisten.
Wie versprochen überreichte ich Gray ein Fotobuch für seinen Vater, in dem ich unseren Sommer eingefangen habe. Eine Sammlung eingefrorener Erinnerungen: Schnappschüsse von Kakteen, Wanderwege in der Wüste, aufgereihte Motorräder mit blitzendem Chrom an der Mill Avenue, Stimmungsbilder von Sedona und sogar ein paar touristische L. A.-Motive. In dem Buch befindet sich auch das Foto von den zwei Geckos, die in der Sonne sitzen und sich unterhalten. Das ist eines meiner Lieblingsmotive, schließlich habe ich Gray dadurch kennengelernt. Schon merkwürdig, dass uns ein Paar Eidechsen zusammengebracht hat.
Für Gray hatte ich auch ein Geschenk. Viereckig, flach und in Zeitungspapier eingewickelt. Ich habe ihm verboten, es vor meiner Abreise zu öffnen. Gray hatte sogar daran gedacht, für die zehn CD s eine Transporthülle beizufügen, die sich an der Sonnenblende festschnallen lässt. Er will mir die Daumen drücken, damit Gürkchen die zweitausend Meilen auf dem Highway durchhält. Außerdem gab er mir den freundschaftlichen Rat, immer auf der rechten Spur zu bleiben, wenn ich nicht von ausgebremsten Schnellfahrern gelyncht werden will. Damit dürfte er recht haben.
Wir haben uns früh am Morgen verabschiedet, als die Sonne noch tief am malvenfarbenen Himmel stand. Die Luft war ungewöhnlich kühl. Gray trug eine Jacke … zum ersten Mal, seit ich ihn kenne, was bereits eine Distanz zwischen uns aufzubauen schien. Wir waren uns einig, die Abschiedsszene möglichst kurz und schmerzlos hinter uns zu bringen. Vergleichbar damit, wie man ein Pflaster oder einen Hautfetzen abreißt.
Gray nahm mich in die Arme und drückte mich so fest, dass ich seine Rippen spüren konnte. Er atmete den Geruch meiner Haut ein, und mein Herz hob und senkte sich mit jedem seiner Atemzüge.
Ich konnte die Tränen nicht unterdrücken und er wischte sie von meinen Wangen. Schon vorher war mir klar gewesen, dass es nicht leicht werden würde. Aber ich hatte nicht gewusst, dass ein Abschied körperlich wehtun kann, als würde sich eine Schlinge ums Herz legen.
Ich sagte Gray wieder und wieder, dass ich ihn liebe. Und er sagte mir dasselbe. Er ließ mich wissen, dass sein ganzes Leben durch mich anders geworden war. Mir fehlten die passenden Worte dafür, wie sehr er meines verändert hatte. Aber ganz am Ende machte er eine unfaire Bemerkung. Er sagte, wenn ich ihn wirklich lieben würde, hätte mich nichts davon abhalten können, bei ihm zu bleiben.
»Du bleibst ja auch nicht«, erinnerte ich ihn. »Du ziehst genauso weg wie ich.« Das war kein Vorwurf, denn um unser Leben richtig beginnen zu können, mussten wir nun einmal unsere Zelte abbrechen und uns auf den Weg machen.
»Ich möchte dich wiedersehen«, sagte er nur.
Also versprach ich es ihm.
Zum Schluss wiederholte er noch einmal, dass er
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