Dylan & Gray
mich liebt. Ich musste an den Kaktus denken, den wir auf unserer ersten Wanderung gesehen hatten. Man konnte direkt in Grays Innerstes schauen.
Ich sagte, er solle dieses Gefühl festhalten und an so viele Menschen wie möglich verschenken. Dann würde ich mein Versprechen einlösen und zurückkehren. Aber er schüttelte den Kopf. Eine andere Liebe würde er niemals finden, behauptete er. Davon war er ernsthaft überzeugt und das machte mir Angst.
»Ich bin bestimmt nicht die einzige Liebe deines Lebens«, beteuerte ich, »nur die erste.«
Gray
Ich sitze in meinem Zimmer und starre auf Umzugskartons voller unnützem Kram. Lauter Müll, den ich nicht will. Wie heißt noch der Song von U2? All I want is you.
Ich sehe wieder die Szene vor mir, wie Dylan sich ins Auto setzt und davonfährt. Der rostige knallorange Volvo verschwindet in der Ferne. Er gleicht einem verblassenden Sonnenuntergang. Mir kommt es vor, als hätte ich noch immer ihre Tränen an den Fingern. Sie sind heiß wie Wüstenregen.
Es tut verdammt weh. Scheiße, warum muss Liebe immer so wehtun?
Ich weiß nicht, wann ich Dylan wiedersehen werde. Sie chattet nicht. Sie hat kein Internet-Profil. Sie ist vermutlich der einzige Teenager ohne Handy. Vernetzt, digitalisiert und verdrahtet zu sein, passt nicht zu ihr. Genauso wenig wie ein fester Ort in Zeit und Raum. Sie lässt sich nicht festnageln. Die grausame Ironie ist, dass ich an Dylan genau die Eigenschaften liebe, die sie für mich unerreichbar machen.
Ich starre auf das Fotobuch für meinen Vater, das Dylan zusammengestellt hat. Wenn sie sich etwas vornimmt, zieht sie es auch durch. Manchmal ist diese Zielstrebigkeit geradezu erschreckend. Meinem Dad dürfte das Geschenk ziemlich bizarr vorkommen. Ein Mädchen, das er nie getroffen hat, lässt ihn die Welt durch ihre Augen sehen. Aber so ist Dylan nun einmal.
Ich greife nach dem Geschenkpaket, das sie mir überreicht hat. Als ich das Papier aufreiße, halte ich ein gerahmtes Gedicht in den Händen. Ich lese den Titel und muss lächeln.
Ode an die Grünhäutigen .
Sie hat mir das Gedicht geschenkt, das wir bei unserem ersten Ausflug zusammen geschrieben haben.
Neben dem Text klebt ein Foto von unserer Wanderung. Ein einsamer Saguaro steht aufrecht und stolz in der Wüstensonne. Er hat die Arme ausgestreckt, als wolle er den Wind einfangen und den Himmel berühren. Ich lese die Zeilen, und obwohl ich die Hälfte davon selbst geschrieben habe, erinnert mich jedes Wort an Dylan:
Mein Phoenixkaktus
Mein turmhoher Saguaro
Stark, einsam und frei
Voll schweigender Weisheit
Du lebst zweihundert Jahre
Mir aber bist du zu pieksig
Wenn ich auf dich falle
Tätowierst du mich
Mit nadelspitzen Wunden
Als wäre ich das Opfer
Einer verrückten Omi
Die mit Sticknadeln angreift
Trotzdem bewundere ich
Deine in die Luft gestreckten Arme
Auf anderen Armen
Auf anderen Armen
Auf anderen
Denn ich mag Arme
Doch deine sind pieksig
Drückst du mich an die Brust
Sterbe ich vor Liebe
Und zwar buchstäblich
Ich werde dich immer bewundern
Aber nur aus der Ferne
Ich will dir Wasser geben
Aber du brauchst mich nicht
Vielleicht ist das der Gund
Warum ich dich so mag?
Sie ist fort. Es fühlt sich an, als wäre mein Herz stofflos und leer. Aber trotzdem hatte Dylan recht. Sie hat mir nie gehört. Jetzt halte ich mich an einer letzten Hoffnung fest. Ich habe ihr gesagt, dass ich sie wiedersehen will. Und sie hat es mir versprochen.
E rste Reifezeit
Einen Monat später
Gray
Hallo, Gott, habe ich dir irgendwie in die Suppe gespuckt? Langsam bekomme ich das Gefühl, du hast Spaß daran, mir das Leben zu vermiesen. Schrillt oben im Himmel eine Warnsirene, sobald ich mal ein bisschen Glück habe? Achtung, Gray geht es zu gut! Das muss sich doch ändern lassen! Würgen wir ihm mal richtig einen rein!
Anscheinend bin ich nicht dazu bestimmt, glücklich zu sein. Mieses Karma, schätze ich.
Ungefähr so hörten sich meine Gedanken an, während ich Richtung Osten nach New Mexico unterwegs war. Den Rest der Zeit versuchte ich mein Gehirn zu betäuben, indem ich Bands wie Ludacris, Rage Against the Machine und Limp Bizkit aufdrehte. Erstens hatten sie die gleiche feindselige Einstellung zum Leben wie ich und zweitens reichten die dröhnenden Bässe, um mich auf dem öden, gleichförmigen Highway nicht einschlafen zu lassen.
Ich hatte den Kofferraum mit allem Lebenswichtigen gefüllt – Stereoanlage, Baseballhandschuh, Musik, Gitarre, Computer – und
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