Dylan & Gray
ein paar Taschen voll Kleidung dazugepackt. Kurz hatte ich darüber nachgedacht, meinem Dad das Fotobuch zu stehlen und mitzunehmen. Der Grund war nicht, dass ich mich ständig mit Erinnerungen an den Sommer quälen wollte. Ich hatte nur keine andere Möglichkeit, an ein Bild von Dylan zu kommen. Das einzige Foto von ihr befand sich in Dads Buch. Ich hatte es selbst in Phoenix aufgenommen. Sie steht zwischen Boba und der Statue eines Mannes, der mit ausgestrecktem Finger ins Nichts zeigt. Dylan tut so, als würde der Mann auf sie deuten. Während sie herumalbert, sieht sie absolut hinreißend aus. Die Sonne bringt ihre Haare zum Leuchten, man kann ihr breites Grinsen und jeden Zentimeter ihres schlanken Körpers sehen.
Auf dem Campus bin ich in eine WG mit vier Zimmern gezogen. Das Haus ist nur zehn Minuten von dem Fitnesscenter der Uni entfernt, wo das Baseballteam täglich Krafttraining macht. Auch das Lobo Field, auf dem wir unsere Übungsspiele haben, liegt ziemlich nah. Die richtigen Wettkämpfe während der Saison finden dann in einer Arena im Isotopes Park statt. Die Uni teilt es mit der ziemlich bekannten Profimannschaft von Albuquerque.
Meine drei Mitbewohner Miles, Todd und Mark (der den Spitznamen Bubba trägt) gehören alle zum Uniteam. Todd und Bubba haben beide eine feste Freundin. Die Mädchen tauchen ständig auf, wollen was unternehmen, zusammen für die Uni lernen oder einfach nur rumhängen. Aber die Jungs lassen sie abblitzen, als hätten sie kaum Interesse. Miles dagegen wünscht sich verzweifelt eine Freundin und ist als einziger noch Single. Tja, so läuft das schließlich immer im Leben.
Mir reicht es schon, in einem Haus zu wohnen, wo es Bewegung und Lärm gibt. Leute miteinander reden zu hören, ist eine nette Abwechslung zu meinem gewohnten Alltag.
Mein Zimmer befindet sich hinten in der dritten Etage. Es hat weiße Wände, die nach frischer Farbe riechen, und altmodische Möbel. Anscheinend war der Bewohner vor mir ein Fan von Antiquitäten. Ist mir aber egal. Was ich brauche, ist einfach ein Neuanfang ohne lästige Erinnerungen. Zu meinem Zimmer gehören ein großes Bett und ein niedriger Holztisch, unter den ich kaum die Beine schieben kann. In einer Ecke steht eine Kommode und darüber hängt ein Spiegel. Ich habe ihn abgenommen und stattdessen ein Bob-Dylan-Poster an die Wand gepinnt, das Amanda mir von einem Konzert mitgebracht hat. Meinen Gitarrenkasten habe ich neben der Tür an die Wand gelehnt. In nur einer Stunde habe ich mein gesamtes Leben ausgepackt.
Was ich an meinem Zimmer am besten finde, ist die Außentür zur Feuertreppe. Der Architekt war anscheinend der Meinung, man könne nie wissen, ob jemand auf der Flucht aus dem brennenden Gebäude vielleicht eine Verschnaufpause einlegen möchte. Deshalb besitze ich nun eine Balkonplattform mit Blick nach Südwesten. Man kann über die Dächer hinwegschauen und hat Ruhe vor dem Rest der Welt. Der Ort ist wie eine Oase. Dort kann ich allein sein, wenn ich will … was bei mir eindeutig häufiger der Fall ist als beim typischen Durchschnittsstudenten. Ich brauche Platz zum Atmen. Hier kann ich meine inneren Batterien wieder aufladen. Mich strengt es an, ständig mit anderen zusammen zu sein. Die meisten Leute wollen die ganze Zeit beachtet werden, ohne etwas zurückzugeben. Okay, ein paar Ausnahmen gibt es natürlich.
Ich habe ständig Muskelkater, weil mein Körper seit über einem Jahr keine Anstrengung mehr gewohnt ist. Coach Clark hat nicht übertrieben, als er mich vorgewarnt hat, wie intensiv das Training werden würde. Er trifft sich fast jeden Tag mit mir und überzeugt sich persönlich, dass ich ausreichend Gewichte stemme, Liegestütze mache, Seilspringe, Werfen übe, um den Platz renne und Schläger schwinge. Er lässt mich für meine Faulenzerei büßen, aber ich finde den körperlichen Schmerz fast angenehm. So weiß ich, dass ich endlich wieder ein Ziel habe und meine Zukunft in den eigenen Händen halte. Außerdem machen die Endorphine mich wunderbar high. In diesem Zustand fühlt man sich unverwundbar, als würde man ewig leben. Ungefähr wie nach dem Sex. Na ja, längst nicht so gut.
Obwohl ich der Neue im Team bin, haben mich alle aufgenommen wie einen lang vermissten Bruder. Todd ist der einzige, der bisher Amanda erwähnt hat. Ich habe den Eindruck, er ist ein bisschen sensibler als die üblichen Sportlertypen, zumindest gibt er offen zu, dass er gerne mit der Mädchenclique seiner Freundin schmalzige
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