Dystopia
einfach», sagte Paige. «Ich wollte mir die Spuren einer Handlung in der Gegenwart in der Zukunft ansehen. Dazu ließ ich mir etwas einfallen, das eigentlich todsicher hätte sein müssen. Ich habe den Zylinder angeschaltet und vor dem Felsen positioniert. Um ihn mir in der Gegenwart und in der Zukunft anzusehen. Die beiden Versionen des Felsens waren identisch; die Erosion, die sich da draußen abspielen mag, geht jedenfalls sehr langsam vonstatten. Jedenfalls habe ich dann den Wagenheber aus dem Jeep geholt, und was ich als Nächstes gemacht habe, könnt ihr vermutlich schon erraten.»
Bethanys Züge hellten sich auf, als ihr die Erleuchtung kam. «Du hast eine Kerbe in den Felsen gekratzt, um diese Kerbe dann in der Zukunft auftauchen zu sehen.»
«Man sollte meinen, dass sie da auftauchen würde, nicht wahr?», sagte Paige.
«Wie auch nicht», sagte Bethany.
Paige zuckte die Achseln. «Ich kann nur berichten, dass sie eben nicht aufgetaucht ist. Ich habe in der Gegenwart wie eine Wilde an diesem Felsen herumgekratzt, hab eine gut fünf Zentimeter tiefe Kerbe in die Oberfläche gefurcht. In der Zukunft aber war von dieser Kerbe keine Spur zu sehen. Nichts. Nada. Der Fels war so glatt wie zuvor.»
Bethany riss die Augen auf. Warf Travis einen Blick zu. Sah wieder Paige an. Ihr schienen buchstäblich die Worte zu fehlen.
«Veränderungen werden ausgeschlossen», sagte Paige. «So einfach ist das, glaube ich, wie auch immer es genau funktionieren mag. Ich vermute, dass die Zylinder beim ersten Anschalten diese Pieptöne von sich gegeben haben, weil sie sich gerade auf die Zukunft ausrichteten, auf die wir uns
in jenem Augenblick
zu bewegten. Unabhängig von Veränderungen, die wir später vornehmen würden, wenn wir die Zukunft erst mit eigenen Augen gesehen hatten.»
«Veränderungen sind ausgeschlossen …», murmelte Bethany. «Das soll aber doch wohl nicht heißen, dass
unsere
Zukunft unabänderlich ist, oder?»
Paige schüttelte den Kopf. «Bloß die Zukunft, die wir durch die projizierte Öffnung erblicken. Man kann es sich wie folgt vorstellen. Mal angenommen, diese Zylinder würden uns eine Zukunft zeigen, die nur zehn Tage von der Gegenwart entfernt ist. Du schaust hindurch und siehst dich selbst an einem ganz normalen Tag. Vielleicht fällt dir auch eine Zeitung mit den Lottozahlen vom kommenden Samstag ins Auge. Angenommen, du notierst dir die Zahlen und läufst dann in der Gegenwart los, um einen Lottoschein mit genau diesen Zahlen abzugeben. Du gewinnst im Lotto, und dadurch verändert sich jetzt deine gesamte Zukunft. Wenn du aber durch die Öffnung einen Blick auf dein künftiges Ich wirfst, zehn Tage weiter in der Zukunft, hat sich nichts verändert. Diese Bethany feiert nicht. Hat nicht ihre Stelle gekündigt.
Jene
Zukunft, auf der anderen Seite der Öffnung, folgt nach wie vor derselben Bahn – der Bahn, auf der du eben nicht die Lottozahlen kanntest. Sie ist veränderungsresistent. Anders vermag ich das nicht auszudrücken. Die Zukunft, die uns die Zylinder zeigen, ist so etwas wie ein lebender Schnappschuss jener Zukunft, auf die wir uns zum Zeitpunkt des ersten Anschaltens zu bewegten.»
«Also können wir die Welt auf unserer Seite der Öffnung immer noch retten», sagte Travis. «Aber die Zukunft, die wir auf der anderen Seite sehen, wird immer so desolat bleiben. So, wie sie sich ursprünglich entwickelt hätte.»
«Genau.» Paige schwieg kurz. «Warum die Zylinder mit dieser Funktion ausgestattet sind, ist mir auch nicht ganz klar. Aber diese Geräte, das sollte man nicht vergessen, wurden ja zu einem bestimmten Zweck konstruiert. Um benutzt zu werden. Vielleicht ist eine Zukunft, die auf gegenwärtige Veränderungen reagiert und immer im Fluss ist, schlicht zu verwirrend. Vielleicht würde man durch die Öffnung sonst eine rasche Abfolge unterschiedlicher Versionen zu sehen bekommen, wie eine rasend schnelle Dia-Schau. Man denke an die Chaostheorie. Die sensitive Abhängigkeit von den Anfangswerten. Vielleicht hat es einen ganz praktischen Sinn, oder es ist sogar notwendig, diese Geräte auf eine fixe Zukunft auszurichten, in der sich nichts mehr ändert. So kann man zwischen den beiden Zeitebenen laufend hin- und herwechseln, ohne sich darüber Sorgen machen zu müssen, dass sich die Welt auf einmal radikal verändert, während man sich in ihr befindet. Und die Erbauer verfügten mit Sicherheit über eine Möglichkeit, die Zylinder zurückzusetzen, um sie später erneut
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