E-Book - Geisterritter
mitgekommen bist!«, sagte sie. »Du bist ein wahrer Freund. Man kann nichts Kostbareres im Leben finden. Ella hat wirklich Glück, dass sie dich hat!«
»Ach, is’ schon gut!«, murmelte ich. »Ella würde dasselbe für mich tun.«
»Ja, da hast du recht. Das würde sie«, sagte Zelda. »Aber trotzdem danke!«
14
Körperkleider
W ir warteten. Es kam mir vor wie Wochen, Monate, Jahre. Zelda ging vor dem Altar auf und ab, auf und ab, auf und ab, während ich in einer der Bänke saß, in denen vielleicht auch schon meine Vorfahren gesessen hatten, und mich fragte, ob Ella noch am Leben war. In Filmen und Büchern fühlen die Helden immer, ob es denen, die sie lieben, gut geht oder nicht. Seit der Nacht in Kilmington glaube ich an so etwas nicht mehr. Ich fühlte nichts, absolut nichts – außer Angst und hilfloser Wut. Ich vermisste Ella. Ich vermisste sie so sehr, als hätte Stourton mir einen Arm oder ein Bein abgeschnitten. Wie konnte das sein? Ich kannte sie kaum länger als eine Woche, und außerdem war sie immer noch ein Mädchen.
»Die besten Freunde«, hat meine Mutter mal zu mir gesagt, »finden wir oft in den dunkelsten Zeiten, weil wir ihnen nie vergessen, dass sie uns geholfen haben, aus der Dunkelheit herauszufinden.«Meine Mutter sprach dabei sicher nicht von Zeiten, in denen sie von einem rachsüchtigen Geist gejagt worden war. Aber ich denke, es gibt viele Arten von Dunkelheit, und jeder von uns bekommt irgendwann irgendeine Art davon zu sehen, und dann – braucht man jemand wie Ella oder man geht darin verloren.
Als Zeldas Handy klingelte, sprang ich so überstürzt aus der Bank, dass ich ausrutschte und mit den Knien auf dem Namen Hartgill landete. Meine Hand zitterte, als sie sich um eine der Krücken schloss, die der Vollbart gegen den Taufbrunnen gelehnt hatte. Als ich Zelda zur Tür folgte, kam es mir vor, als sähen uns alle Hartgills nach, voller Hoffnung, dass wir schaffen würden, was die Seidenschlinge nicht vollbracht hatte: sie endlich von Stourton zu befreien und Rache zu nehmen für die zwei Morde, mit denen alles begonnen hatte. Aber mich interessierte all das nicht wirklich. Ich wollte nur Ella zurück, ohne einen Kratzer, wie Zelda gesagt hatte.
Es war eine kalte Nacht. Zwischen den Grabsteinen hatte sich Nebel gebildet, so weiß und feucht, als atmeten die Toten unter der Erde ihn aus, und in dem Dunst warteten vier Männer. Man sah ihnen auf den ersten Blick an, dass etwas mit ihnen nicht stimmte. Sie sahen aus, als passte ihnen ihre Haut nicht mehr, und ihre Gesichter waren so ausdruckslos wie Gummimasken. Der Vollbart hatte recht gehabt. Geister konnten tote Leiber wie Kleider tragen, und Stourton hatte nicht nur einem, sondern allen seinen Knechten ein solches Kleid beschafft. Das Herz gefror mir in der Brust, und ich konnte vor Angst kaum atmen, während meine Finger sich fester um Zeldas Krücke schlossen. Aber meine Augen suchten zwischen den Gräbern nur nach einer Gestalt.
»Wo ist meine Enkeltochter?«, fuhr Zelda die Kreaturen an, die einmal Männer gewesen waren. Kein beneidenswertes Schicksal, als Körperkleid für die Seele eines Mörders zu enden!
Zeldas Stimme zitterte nicht ganz so sehr, wie meine Hände es taten, aber es tröstete und erschreckte mich zugleich, dieselbe Furcht darin zu hören, die ich selbst empfand.
Stourtons Knechte antworteten ihr nicht. Mit dem Reden haben Tote vermutlich so ihre Schwierigkeiten. Aber einer von ihnen drehte sich um und zerrte Ella hinter einem der Grabsteine hervor.
Sie sah furchtbar blass aus. Ihre Augen waren weit vor Angst, aber ich sah auch eine gute Portion Zorn darin. Sie hielt sich sehr gerade, und als einer der Toten ihr in das lange Haar griff, trat sie ihn gegen die Knie. Tapfere Ella.
»Lass sie los!«, schrie ich und fuchtelte mit meiner Krücke, obwohl ich nicht viel Hoffnung hatte, dass sie bei jemandem, der eh tot war, irgendwelchen Schaden anrichten konnte.
Der links von Ella stieß ein hässliches Lachen aus und griff ihr erneut ins Haar. Als er sprach, klang es, als passte seine Zunge ihm ebenso wenig wie seine neuen Glieder.
»Deine Freundin bleibt hier, Hartgill«, lallte er, »bis der Seidene Lord kommt, um dich zu holen. Er ist schon auf dem Weg!«
»Darauf sollten wir nicht warten!«, zischte Zelda mir zu, aber gerade als sie ihre Krücke fester umklammerte, setzte der bleiche Reiter über das Friedhofstor, der mich so viele Tage und Nächte in Angst versetzt hatte. Diesmal war er wie
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