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uns eine unerwartete Situation bevor.“
„Sagen Sie es einfach, Carla.“
„Ihre Mutter ist hier. War hier, besser gesagt.“
„Meine Mutter? Mein Gott. Hat ihn das sehr durcheinander gebracht?“
„Ich glaube nicht. Nachdem sie wieder weg war, habe ich mit Kathy gesprochen, der Tagesschwester, und die hat gemeint, es ginge ihm gut, aber es scheint, als ob er nicht realisiert hätte, dass die beiden … nun ja … geschieden sind. Ich weiß, dass Sie uns die strikte Anweisung gegeben haben, ihre Anrufe nicht durchzustellen. Ihre Anrufe … Aber vermutlich haben wir einfach nicht damit gerechnet, dass sie ihn jemals besuchen würde. So ist sie am Empfang vorbeigekommen und war etwa zehn Minuten mit ihm allein.“
„Diese verfluchte alte Hexe.“
„Nun, Miss Hayes, ich sollte das vielleicht besser nicht sagen, aber genau diese Worte sind mir auch durch den Kopf gegangen.“
„Sie war auf Totenschau.“ Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Roland Riggs mich beobachtete. Er hatte aufgehört, Alex’ Fragen zu beantworten.
„Ich verstehe nicht.“
„Es geht ums Geld. Ich sage ihr immer wieder, dass er lange leben und es noch eine Weile dauern wird, bis sie ihre schmutzigen Pfoten auf sein Geld legen kann. Um ehrlich zu sein, mir wäre es völlig egal, auch nicht einen Cent von ihm zu erben. Wenn es nach mir ginge, sollte er sein Vermögen in Stratford Oaks lassen. Das interessiert mich nicht. Ich will nur, dass man sich dort gut um ihn kümmert.“
Carla Waters, eine wunderschöne afro-amerikanische Verwaltungsangestellte im Pflegeheim, deren Lachen noch den ältesten Scheintoten in so manchem Zimmer verzücken konnte, schwieg. Sie war eine einfühlsame Frau, die sicher mehr als einmal beobachtet hatte, welchen Schaden Angehörige anrichten können, die verbissen um den letzten Penny feilschen, während ihre Eltern oder Großeltern vor sich hindämmern und schließlich sterben.
„Lassen Sie sie das nächste Mal bitte nicht mehr zu ihm. Ich werde sie anrufen. Ich muss sie anrufen und ihr sagen, dass sie ihn nicht besuchen darf. Niemals mehr. Es wäre nett, wenn Sie mir morgen Bescheid sagen könnten, ob es ihm weiter gut geht.“
„Das werde ich. Es tut mir Leid, dass das passiert ist.“
„Es ist nicht Ihre Schuld.“
„Ihr Vater ist ein sehr liebenswerter Mann. Und er ist glücklich, dass er Sie hat.“
„Wenn Sie wüssten, um wie vieles glücklicher ich erst bin, dass ich ihn habe, Carla.“
Wir verabschiedeten uns, und ich legte auf. Meine Hände waren so kalt, als hätte ich sie in einen Bottich mit Eiswasser gehalten. Mir kam vor Wut fast die Galle hoch. Vor Wut oder wegen des mit Chili zugeschütteten Auflaufs, den wir an diesem Abend gegessen hatten.
„Roland? Ich gehe ein bisschen spazieren. Ich brauche frische Luft.“
„Ist gut. Wir bleiben hier bei Alex.“
Der Strand lag in völliger Dunkelheit. Ich kämpfte mit einem hasserfüllten, bösartigen inneren Monolog, mit dem ich meine Mutter verletzen wollte.
Du herzloses Biest. Du bist keine Mutter. Du bist ein Gebilde aus Silikon und Collagen.
Aber ich konnte sie nicht verletzen. Das nämlich hätte bedeutet, dass meine Gedanken sie auch nur im Ansatz interessierten. In Wahrheit aber interessierte sie nur, wann der nächste Termin für ein Gesichtspeeling anstand. Wo sie den nächsten Urlaub verbringen würde und mit wem. Wo Blaine Trump ihr das nächste Paar Schuhe kaufen würde.
„Störe ich?“ Rolands Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich hatte ihn nicht kommen hören.
„Nein. Nicht wirklich. Ich nehme an, Sie haben mitgekriegt, was in unserer schrecklich netten Familie gerade los ist.“
„Zum Teil. Ihre Mutter ist eine Schnepfe?“
„So in etwa könnte man es ausdrücken.“ Ich blickte über das Meer in die Dunkelheit, froh darüber, dass er mein Gesicht nicht sehen konnte. „Sie hat meinen Vater verlassen, als ich noch ein kleines Mädchen war. Ihr war es seit jeher wichtiger gewesen, die richtige Adresse zu haben – unter Park Avenue hätte sie es nicht gemacht – und den besten Schneider zu finden, als eine gute Mutter zu sein. Und damit man in ihren Kreisen nicht merkte, was für ein alles verschlingendes Monster sie war, erzählte sie natürlich jedem, dass ihre Tochter geistig doch bedenklich zurückgeblieben war. Ich konnte nicht lesen. Brauchte an der Privatschule, die ich besuchte, eine Sonderbehandlung. Als sie dann mit Ehemann Nummer drei zusammenzog, wäre es somit fatal gewesen, mich aus meinem
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