Éanna - Ein neuer Anfang
ungeschützten Flusspiraten.
Eine der ersten Kugeln traf ihren Anführer. Sie riss seinen Kopf nach hinten und er stürzte, ohne einen Laut von sich zu geben, ins Wasser. Unmittelbar hinter ihm traf die erste Salve einen zweiten Mann, der wie Frederick schon fast die Reling erklommen hatte. Er taumelte, kippte mit einem erstickten Röcheln über die Seitenwand und versank in den tintenschwarzen Fluten des East River. Jetzt waren auch von der anderen Bordseite der Swan laute Schüsse, grässliche Schreie und Verwünschungen zu hören.
Geistesgegenwärtig robbte Brendan auf dem Bauch nach vorne zum Bug, riss den Dolch aus seinem Gürtel, durchschnitt die Leine, die ihr Boot mit dem Schoner verband, und stieß das Schiff kräftig vom Rumpf ab. So schnell wie möglich mussten sie jetzt aus der Schussweite der aufgebrachten Seeleute auf der Swan und in den Schutz der nächsten Nebelbank kommen! Nur dieser eine Gedanke kreiste in seinem benommenen Kopf.
»Tod und Teufel!«, stieß Caitlin mit vor Schreck zittriger Stimme hervor und beugte sich zu Leslie hinüber, der bleich und verschreckt im Boot kauerte. »Da hätten wir uns doch um ein Haar auch eine Kugel …« Sie stieß einen schrillen Schrei aus und stürzte rücklings auf die Planken, getroffen von einem Bleigeschoss, das man ihnen von der Swan nachgesandt hatte. Von oben kommend war es nahe an Brendans Kopf vorbeigesirrt und hatte sie unterhalb der rechten Brust getroffen.
Brendan war wie gelähmt vor Entsetzen. Er wollte Caitlin helfen, doch Leslie, der sich bei dem Schuss aus seiner Erstarrung gelöst hatte, hielt ihn mit festem Griff zurück. »Verdammt, bist du wahnsinnig? Wir müssen weg hier, los, an die Ruder! Caitlin ist sowieso nicht mehr zu helfen! Und wenn doch, dann nur, wenn wir beide lebend das nächste Ufer erreichen sollten! Also leg dich in die Riemen, Mann!«
Es fielen noch mehrere Schüsse, doch keine der Kugeln kam noch einmal so nahe an sie heran, dass sie ihnen hätte gefährlich werden können. Und während Brendan und Leslie verbissen zum Ufer zurückruderten, hüllte sie der Nebel immer mehr ein. Bald war von dem Schoner nichts mehr zu sehen und auch die Geräusche verebbten allmählich.
Sie ruderten flussaufwärts zu Corlear’s Hook, denn Leslie hielt es für zu gefährlich, mit der Strömung zu rudern, wo die Flusspolizei sicher über kurz oder lang ihren Weg kreuzen würde. Brendan war froh, dass der Flusspirat das Kommando übernahm. Immer wieder sah er zu Caitlin hinüber, deren Kopf er, als sie die erste schützende Nebelbank erreichten, mit seiner Jacke gestützt hatte und die nun schwer atmend auf den Planken lag. Während er mit all seiner Kraft ruderte, betete er, sie möge durchhalten, bis sie das Ufer erreicht hatten und Hilfe holen konnten.
Als ihr Boot endlich bei Corlear’s Hook auf Grund lief, sprang Leslie ohne ein Wort über Bord und rannte davon.
Brendan beugte sich verzweifelt zu Caitlin hinunter, deren Atem flach und stoßweise ging.
Sie hatte ihre Hände auf die Wunde gepresst und sah ihn aus großen verwunderten Augen an, als könne sie nicht begreifen, was gerade geschehen war. »Bren. . .dan! Bist du …?«, flüsterte sie.
»Nein, ich bin unverletzt.« Er legte vorsichtig seine Hand auf ihre Hände und hatte Tränen in den Augen. Für Caitlin würde jede Hilfe zu spät kommen.
Sie lächelte ihm schmerzverzerrt zu. »Hab … uns … beiden … noch einen … Gefallen getan!«, stieß sie stockend hervor. »Patrick O’Brien … kannst ihn abschreiben … ist auf hoher See und …« Jäh brach ihre Stimme ab, ihr Kopf fiel zur Seite. Caitlin war tot.
»Gott sei deiner Seele gnädig!«, flüsterte Brendan, schloss ihr die Augen und zögerte, was er nun tun sollte. Ihm blieb nicht viel Zeit; sobald es dämmerte, würde man auf das verwaiste Boot aufmerksam werden und die Tote entdecken. Und es würde sicher nicht lange dauern, bis die Polizei eins und eins zusammengezählt und erkannt hatte, dass es einen Bezug zwischen Caitlin, dem Ruderboot und dem nächtlichen Überfall der Daybreak Boys auf die Swan gab. Er musste verschwinden, und zwar so schnell wie möglich! Brendan warf einen letzten Blick auf Caitlin und erhob sich. Da bemerkte er das Bündel, das eine Handbreit von ihrem Kopf entfernt unter der Ruderbank klemmte. Frederick hatte es dort verstaut, kurz bevor sie aufgebrochen waren. Einem Instinkt folgend, nahm Brendan es an sich. Was immer das Bündel enthielt, es sollte besser nicht in die
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