Éanna - Ein neuer Anfang
Nein, lass mich ausreden. Also es gibt da einen kleinen Schoner, die Swan, der am Freitag oben an der Clinton Street mit Brandyfässern beladen werden soll, und zwar mit dem teuersten französischen Brandy, den es auf der Welt gibt! Die Fracht ist für ein paar reiche Plantagenbesitzer in Virginia bestimmt. Aber die Swan muss den Pier schon am Abend räumen, weil da am Samstag wohl einige Stützbalken und Bohlen erneuert werden müssen. Und deshalb wird das Schiffchen die Nacht drüben auf der anderen Seite vom East River vor der Küste von Brooklyn verbringen.«
Brendan runzelte die Stirn. »Woher weißt du das alles? Und warum segelt die Swan nicht gleich nach Virginia?«
»Das ist ja der Clou an der ganzen Sache, Schätzchen! Einer von der Mannschaft, den Frederick von früher kennt, hat ihm das alles gesteckt und ist selbst mit von der Partie. Kriegt sogar einen doppelten Anteil. Und von ihm weiß Frederick auch, dass der Captain in der Nacht von Freitag auf Samstag nicht an Bord sein wird. Sein Reeder hat ihn zu irgendeiner wichtigen Feier eingeladen. Tja, Pech für ihn und Glück für uns! Du siehst: Es ist alles durchgeplant und wird eine ganz sichere Sache werden!«, redete sie auf ihn ein. »Man serviert uns das Schiff und die Ladung quasi auf dem Silberteller. Wir müssen nachts nur noch unsere beiden Boote mit den Brandyfässern beladen und mit der Beute verschwinden. Und glaub mir, diesen Verlust können die feinen Herrschaften locker verkraften! Die ganze Ware ist sicher sowieso gut versichert. Also schaden wir ihnen im Grunde nicht einmal. Das Ganze wird ein Kinderspiel! So leicht wirst du nie wieder Geld verdienen. Denn wenn du mitmachst, ist dir ein Hunderter sicher! Also sag schon Ja!«
Hundert Dollar! Brendan schluckte. Was sie sich mit einhundert Dollar noch alles an Treckausrüstung und Nahrungsmitteln würden kaufen können! Damit wären sie endgültig über den Berg und könnten die Reise in den Westen ohne Sorgen antreten. Und dann hätte er auch fast so viel dazu beigesteuert wie Éanna. Eine plausible Geschichte, woher er das Geld hatte, würde ihm schon noch einfallen, darüber würde er sich später Gedanken machen.
Er kämpfte noch eine Weile mit seinem Gewissen, doch Caitlin, die merkte, dass sie ihn am Haken hatte und die Leine nur noch geschickt einholen musste, zerstreute mit Argumenten, Versicherungen und Lockungen auch die letzten Zweifel.
»Also gut, ich bin dabei!«, gab Brendan schließlich nach und ließ sich erklären, wann und wo er in der Nacht vom Freitag auf den Samstag zu Frederick Cashs Truppe stoßen sollte.
Achtundzwanzigstes Kapitel
Es war schon dämmrig, als Patrick am Donnerstagabend von einem langen Gespräch mit seinen Verlegern, den Brüdern Harper, bestens gelaunt in die Pension auf der 10th Street zurückkehrte. Es hatte viel zu besprechen gegeben. Dabei war es zum einen um seine Zustimmung zu kleineren stilistischen Änderungen und Kürzungen gegangen, zum anderen hatte man ihm mitgeteilt, dass sein Text mit hochwertigen Stichen ausgestattet werden sollte, was ihn sehr gefreut hatte. Auch sein Titelvorschlag Irlands Großer Hunger war angenommen worden und so würde das Buch wohl schon im kommenden Herbst in den Buchhandlungen zum Verkauf ausliegen.
Als er die Pension betrat, erschien die Wirtin im Flur und teilte ihm mit, dass am Nachmittag ein Brief für ihn abgegeben worden sei und dass bereits mittags eine junge Frau nach ihm gefragt und ein Schreiben dagelassen habe.
Patrick bedankte sich und eilte in sein Zimmer. Der erste Brief war von Éanna!
»Und ob ich am Montagabend unten an der Hudson-Pier bei der Albany-Fähre sein werde! Aber nicht, um von dir Abschied zu nehmen!«, sinnierte er mit verschmitzter Miene, als er die Nachricht gelesen hatte. Éanna würde Augen machen, wenn sie erfuhr, dass auch er die Reise nach Independence antreten und an dem Wagentreck teilnehmen würde. Dieses Abenteuer durfte er sich nicht entgehen lassen, erst recht nicht jetzt, wo endlich ein Verlag sein Manuskript angenommen hatte und er mehr als genug Geld für dieses Unternehmen besaß. Und die Gebrüder Harper hatten sogar schon Interesse an einem Reisebericht aus seiner Feder bekundet. Nun, und was Brendan betraf, so nahm er an, dass die Gruppe von Nathan Palmer groß genug sein würde, um sich gegenseitig aus dem Weg gehen, und doch zugleich klein genug, um in Éannas Nähe bleiben zu können.
Schließlich sah er sich das zweite Schreiben genauer an. Es
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