Éanna - Ein neuer Anfang
dem Treck für sich zu behalten.
»Und bist du noch immer mit diesem Gänschen Éanna zusammen? Oder hat sie sich inzwischen mit Patrick O’Brien zusammengetan und dir den Laufpass gegeben?«, fragte sie spöttisch.
»Nein, hat sie nicht! Aber der Kerl scharwenzelt noch immer um sie herum!« Mit ihrem feinen Gespür für den wunden Punkt anderer Leute hatte Caitlin bei Brendan ins Schwarze getroffen. Erst gestern hatte er von Emily erfahren müssen, dass Patrick darüber nachdachte, auch an dem Treck nach Kalifornien teilzunehmen. Allein die Erinnerung an dieses Gespräch ließ ihn von Neuem wütend werden. »Ich wünschte, ich wäre diesen eitlen Dandy und Möchtegern-Schriftsteller, der Tag für Tag in seiner warmen Pension auf der 10th Street sitzt und irgendeinen Schwachsinn aufs Papier kritzelt, während ich mir auf der Straße und im Hafen die Seele aus dem Leib schuften muss, ein für alle Mal los.«
Caitlin nickte. »Ich kann diesen herausgeputzten Affen auch nicht leiden. Typen wie der glauben, sie könnten sich alles, was sie wollen, einfach nehmen, nur weil sie mit einem goldenen Löffel im Maul zur Welt gekommen sind. So einem müsste man mal eine Lektion erteilen: ihm erst kräftig eins überziehen und ihn dann bis aufs letzte Hemd ausnehmen und splitternackt in der Gosse liegen lassen. Das wäre schon was, was mir gefallen könnte!«
»Und warum tun wir das nicht, wenn er so viel Kohle hat?«, fragte Leslie, der wie sein Komplize kräftig gebaut war und über dessen Gesicht sich mehrere tiefe Narben zogen. »Wir müssen dem Kerl doch nur vor dieser Pension auflauern und warten, bis sich eine gute Gelegenheit ergibt, ihn ein bisschen mit dem Messer zu kitzeln!«
»Halt dein Maul, Leslie! Und das gilt auch für dich, Nick! Trinkt einfach euer Bier und quatscht mir bloß nicht rein, verstanden?«, herrschte Caitlin die beiden an.
Leslie und Nick zogen stumm die Köpfe ein und Brendan wunderte sich über ihr Verhalten. Warum ließen sie es zu, dass Caitlin so mit ihnen sprach?
»Hör mal zu, Brendan-Schätzchen«, wandte sie sich nun mit einem Lächeln wieder ihm zu. »Ich möchte dir ein Geschäft vorschlagen, das dich interessieren dürfte. Jemanden wie dich können wir gerade gut gebrauchen, wo drei von unseren Jungs einfach so ausgestiegen sind und kurzerhand den nächsten Kahn nach Kalifornien genommen haben.«
»Wer ist wir?«, fragte Brendan vorsichtig.
»Wir, das sind Caitlin und Frederick Cash«, antwortete Caitlin, um mit breitem Grinsen hinzuzufügen: »Du hast sicher schon von ihm gehört. Und ich sage dir – Frederick könnte gar keinen treffenderen Nachnamen haben! Zu seinen Leuten zu gehören, bedeutet genau das: eine Menge Geld auf leichte Art zu verdienen!«
»Und sie ist sein Liebchen …«, warf Leslie leise und mit schwerem Zungenschlag ein und deutete mit dem Finger auf Caitlin.
Die schoss ihm einen scharfen, wütenden Blick zu, der ihn augenblicklich verstummen ließ.
»Und auf welche Weise verdient man sein Geld?«, wollte Brendan wissen. Er war auf der Hut, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass Caitlin jemals ehrlicher Arbeit nachgehen würde.
Sie beugte sich weit über den Tisch zu ihm herüber und fragte leise: »Schon mal was von den Daybreak Boys gehört?«
Natürlich kannte Brendan die berüchtigten Daybreak Boys – so wie jeder andere, der in New York die Ohren offen hielt oder Zeitung las. Daybreak Boys wurden die Mitglieder der ebenso tollkühnen wie gefährlichen Banden genannt, die in dunklen, mondlosen Nächten meist ein, zwei Stunden vor Morgengrauen mit ihren schnellen Ruderbooten auf dem Hudson oder dem East River zu einem hier vor Anker liegenden Schiff ruderten, die Mannschaft im Schlaf überwältigten und einen Teil der Fracht stahlen. Ebenso schnell und unbemerkt, wie sie gekommen waren, verschwanden die Flusspiraten anschließend mit ihrer Beute wieder.
»Ja klar, gehört habe ich davon schon«, sagte er nun. »Aber für solch krumme Touren bin ich nicht zu haben! Denn ich habe nicht die Absicht, für den Rest meines Lebens im Zuchthaus zu sitzen und Steine zu klopfen!«
Caitlin winkte ungeduldig ab. »Ach was, Frederick gehört doch nicht zu den Schwachköpfen, die so etwas riskieren. Er lässt sich immer viel Zeit damit, einen Coup vorher genau zu planen, und riskiert nichts. Wir sind noch nie erwischt worden«, versicherte sie. »Es ist also alles ganz unbedenklich und sicher. Und du wärst ausgesprochen dumm, wenn du kneifen würdest!
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