Éanna - Ein neuer Anfang
vortreffliche Liebesgeschichten schreiben könntet, wenn Ihr nur wollt. Ihr würdet damit einen Haufen Geld verdienen. Nun ja, und wenn Ihr dann immer noch unbedingt dieses andere Zeug schreiben wollt, werdet Ihr nebenbei noch Zeit genug dafür haben!«
Patrick war sich sicher, dass er sich nie im Leben dafür hergeben würde, Lohnschreiber von Sechs-Cent-Mammut-Heften für Benjamin Park zu werden. So tief konnte er gar nicht sinken! Aber er wollte nicht unhöflich sein und erwiderte deshalb diplomatisch: »Ich werde mir Euer freundliches Angebot durch den Kopf gehen lassen, Mister Park.«
»Tut das und nehmt das Mammut ruhig gleich mit, dann könnt Ihr Euch schon ein bisschen einlesen und wisst, wie der Hase läuft. Solche Geschichten werden Euch aus der Feder fließen wie Butter auf einer heißen Herdplatte! Und lasst bald wieder von Euch hören, damit wir über das Geschäftliche reden können!« Damit stand der Verleger auf, drückte Patrick sein Manuskript in die Hände und wünschte ihm noch einen angenehmen Tag.
Nur wenige Augenblicke später trat Patrick aus dem Verlagshaus. Direkt vor der Tür stand ein offenes Fuhrwerk mit Schutt. Ohne zu zögern, warf er das Mammut mit den heimlichen Liebschaften der Lady Jefferson hinein. Nun lag es dort, wo es seiner Meinung nach hingehörte. Doch er ahnte, dass das Heft – vorausgesetzt, die Arbeiter entdeckten es rechtzeitig – wohl kaum auf einer Abraumhalde landen, sondern noch durch viele begierige Hände gehen würde, um vielleicht erst in mehreren Jahren völlig zerfleddert und verdreckt in einem Ofen zu enden.
Um sich etwas aufzuheitern, beschloss Patrick, den Ort seiner dritten Niederlage zu verlassen und Charles Templeton in seiner Buchhandlung einen Besuch abzustatten. Das kleine Geschäft lag nur eine Querstraße von der Houston Street entfernt und der Spaziergang würde ihm guttun. Sein erster Besuch dort war schon über eine Woche her.
Als er auf die Ecke Bleeker und Green Street zusteuerte, besserte sich seine Stimmung merklich. Vielleicht würde heute ja doch noch etwas Gutes geschehen, vielleicht war Éanna inzwischen bei Mister Templeton gewesen und hatte ihm ihre Adresse oder doch zumindest eine kurze Nachricht hinterlassen. Doch als er vor dem Buchladen ankam und die handschriftliche Nachricht an der geschlossenen Tür erblickte, sank sein Herz.
Denn welcher Art die traurige und dringende Familienangelegenheit auch sein mochte, Charles Templeton schien nicht damit zu rechnen, schnell wieder aus Chicago zurückzukehren. Unter Umständen blieb er gar einen Monat oder länger weg, überlegte Patrick besorgt. Was, wenn Éanna in dieser Zeit in Not geriete? Wie sollte sie ihn nur finden? Und inzwischen hatte er ein sehr gutes Bild von dem Elend bekommen, das nicht nur in Irland, sondern auch hier in der Neuen Welt auf die meisten Einwanderer wartete.
Bedrückt wandte er sich ab und ging, ganz in seine trüben Gedanken versunken, zurück in Richtung Broadway. Dabei quälte ihn wieder einmal die Frage, warum sein Herz immer noch so sehr an Éanna hing. Warum konnte er sie, die seine Liebe so deutlich zurückgewiesen und sich für einen anderen Mann entschieden hatte, nicht einfach vergessen und ihr Bild aus seinem Kopf und seinem Herzen vertreiben?
Weil ich ein Tor bin und die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben habe, dass sie meine Liebe eines Tages doch erwidert , gestand er sich selbst ein. Weil ich immer noch denke, dass Éanna eines Tages frei und empfänglich sein wird für meine Gefühle. Niedergeschlagen schüttelte er den Kopf. Ihm war wirklich nicht zu helfen!
An der Ecke zum Broadway stieß er plötzlich fast mit einem dandyhaft gekleideten Mann zusammen. Erst im letzten Augenblick wichen sie einander aus.
Patrick murmelte, ohne recht hinzusehen, eine Entschuldigung und wollte schnell weitergehen, doch der Fremde hielt ihn ungläubig zurück. »Patrick? Patrick O’Brien? Bei den sündhaft süßen Jungfrauen der Bowery, du bist es tatsächlich!«
Nun erkannte auch Patrick sein Gegenüber: Vor ihm stand – unverkennbar und fast unverändert – Gaylord Sloane, der blond gelockte, blendend aussehende Sohn eines reichen New Yorker Unternehmers, der in großem Stil in ganz Amerika Im- und Export betrieb.
Vor etwa dreieinhalb Jahren, als sie beide siebzehn gewesen waren, hatte Gaylord gute sechs Monate in Dublin verbracht und in dieser Zeit gemeinsam mit Patrick das Trinity College besucht. Sie waren in einer Klasse gewesen und hatten
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