Éanna - Ein neuer Anfang
Frau Mutter finden. Die hat nämlich in ein paar Tagen Geburtstag und da erwartet sie natürlich etwas ganz Besonderes von ihrem Sohn.« Wieder lachte er, diesmal etwas gequält. Dann aber leuchteten seine Augen auf. »Samstagabend gibt sie für Freunde einen Geburtstagsempfang. Du musst natürlich unbedingt auch kommen.«
»Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist.«
»Und ob das eine gute Idee ist! Mensch, wir waren doch zusammen auf dem Trinity und haben beim Rugby nebeneinander im Dreck gelegen! Du bist mein Freund und wir haben ganz sicher eine Menge zu bequatschen! Und meine Eltern werden sich freuen, wenn ich dich mitbringe. Nun hab dich doch nicht so! Du musst einfach kommen oder ich schleife dich eigenhändig aus dem Shakespeare!« Gaylord zückte ein schmales silbernes Etui. »Hier ist meine Karte mit unserer Adresse. Um halb neun stehst du bei uns auf der Matte, abgemacht?«
»Also gut, abgemacht!«, gab Patrick nach.
»Dann bist Samstagabend!« Ein letzter Faustschlag, dann hastete Gaylord Sloane mit wehenden Rockschößen und schwingendem Spazierstock den Broadway entlang.
Verblüfft blickte Patrick auf die edle Büttenkarte in seiner Hand, auf der in goldenen Lettern eine noch edlere New Yorker Adresse prangte. Dann sah er seinem einstigen Collegekameraden nach.
Nein, mit einer solchen Begegnung hatte er am heutigen Tag nun wirklich nicht gerechnet!
Zehntes Kapitel
Liam Maguire hatte für den Abend ihres Einzuges in das Haus auf der Cross Street einen alten Leiterwagen organisiert. Keine halbe Stunde nach Feierabend in der Gießerei tauchte er damit vor dem Emerald Isle auf.
»Endlich mal einer von Brendans Freunden, auf den offenbar Verlass ist«, sagte Éanna leise zu Emily, als sie ihn eiligen Schrittes die Division Street heraufkommen sahen, den rumpelnden Handkarren hinter sich herziehend.
Emily nickte. »Ja, er scheint wirklich anständig zu sein. Und hilfsbereit«, pflichtete sie ihrer Freundin bei.
Liam hatte Haare, so schwarz wie Rabenfedern. Sie waren ähnlich kraus wie bei Brendan und schienen sich jedem Kamm zu widersetzen. Er war von kräftiger, etwas untersetzter Statur und besaß ein offenes Gesicht mit einer markanten Nase und einem Grübchen in der linken Wange.
Éanna war er am Sonntag auf Anhieb sympathisch gewesen, als sie ihn nach der Messe getroffen und er Emily, Brendan und ihr das frei stehende Apartment in Five Points gezeigt hatte. Anders als dieses Großmaul Tom Mahony hatte Liam dabei nicht viele Worte gemacht und nicht versucht, sie davon zu überzeugen, was für ein toller Hecht er sei. Vielmehr war er eher ruhig und zurückhaltend gewesen, den Mädchen gegenüber hatte er sich sogar ein bisschen verlegen verhalten. Éanna hoffte, dass er ihnen mit der Zeit ein guter Freund werden würde.
»Tut mir leid, aber schneller ging es nicht!«, entschuldigte er sich ein wenig außer Atem, als er bei ihnen ankam.
»Ach was, wir sind doch auch gerade erst vors Haus getreten«, beruhigte Brendan ihn. »Und bis es dunkel wird, bleibt uns noch viel Zeit, um alles rechtzeitig zu erledigen.«
»Danke erst einmal, dass du den Leiterwagen für uns besorgt hast«, fügte Éanna noch hinzu.
»Ist doch selbstverständlich«, wehrte Liam ab und errötete, als hätte sie sich nicht für seine Hilfsbereitschaft bedankt, sondern ihm stattdessen ein Kompliment über seine herrlich langen Wimpern gemacht.
»Das finden wir gar nicht«, sagte nun Emily. »Wir kennen nämlich auch ganz andere Leute hier, die für uns keinen Finger gerührt hätten, um uns dabei zu helfen, unsere Sachen in die neue Wohnung zu transportieren.«
»Sachen, die wir erst einmal kaufen müssen!«, erinnerte Brendan sie und schlug Liam freundschaftlich auf die Schulter. »Also, dann lasst uns doch mal sehen, was die Händler auf dem Markt am Chatham Square für unser sauer verdientes Geld zu bieten haben!«
Sie zogen los, Liam und Brendan mit dem Karren voran, Éanna und Emily mit den ärmlichen Bündeln, die ihre wenigen Habseligkeiten enthielten, dahinter. Vom Emerald Isle aus war es nur ein kurzer Weg bis zu der Ecke, an der das südliche Ende der Bowery Street auf den großen, dreieckigen Platz stieß, wo täglich der Markt stattfand. Hier reihten sich dunkle vollgestopfte Läden von Pfandleihern und Trödelhändlern und Geschäfte, in denen Berge getragener Kleidung verkauft wurden, aneinander. Ähnlich sah es unten auf der Chatham Street, am äußersten südlichen Rand von Five Points, aus.
Liam
Weitere Kostenlose Bücher