Éanna - Ein neuer Anfang
kannte sich hier aus. Er wusste, welche Händler unredlich waren und welche einen fairen Preis für ihre gebrauchten Waren verlangten. Die drei anderen waren froh über seine Hilfe, denn es galt nun, das Nötigste für ihren ersten eigenen Hausstand auszuwählen.
Sie kauften drei dünne Matratzen, die noch nicht allzu verschlissen und durchgelegen waren, dann einige leichte Decken sowie Bettlaken und Handtücher, die recht fadenscheinig wirkten und an mehreren Stellen gewissenhaft mit der Nadel geflickt worden waren. Doch bessere und damit teurere Qualität konnten sie sich nicht leisten. Im nächsten Geschäft erstanden sie einen einfachen Tisch, drei Stühle, eine Pfanne, zwei Kochtöpfe, ein scharfes Küchenmesser, Blechteller und -becher sowie Besteck für drei Personen. Zwei Nachttöpfe, ein Kohlen- und ein Ascheneimer, eine große Blechkanne für Wasser, eine Waschschüssel und eine Öllampe wanderten zusätzlich in ihren Besitz.
Um den Tisch und die drei Stühle feilschten sie am längsten und es gelang Éanna nach zähen Verhandlungen, ihren Preis um einige kostbare Cent zu senken, auch wenn der Händler nun so tat, als hätte er ihr die Dinge regelrecht geschenkt. Doch Éanna, die die rauen Dubliner Marktverhältnisse gewohnt war, lachte nur bei seinen mürrischen Worten. Denn der verschrammte Tisch hatte ein wackliges Bein und bei zwei Stühlen war das Rückenteil durchgebrochen – auch wenn sich dies leicht beheben ließ, wie Liam ihr leise zugeraunt hatte. Gern hätte sie auch noch ein Bettgestell gekauft, aber diese Ausgabe musste auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.
»Alles in allem sind wir ganz gut davongekommen, findet ihr nicht auch?«, fragte Brendan zufrieden, als sie sich kurz darauf mit dem beladenen Handkarren auf den Weg zur Cross Street machten.
Liam nickte anerkennend. »Ihr habt gut gehandelt, vor allem du, Éanna! Das hätte ich auch nicht besser hingekriegt!«
»Wir haben genauso viel gezahlt, wie die Dinge wert sind«, antwortete Éanna achselzuckend, insgeheim jedoch war sie stolz. »Mehr hätten wir uns auch gar nicht leisten können. Denn wenn wir nachher dem Agenten des Hausbesitzers die Wochenmiete gezahlt haben, ist von unserem Geld nicht mehr viel übrig. Jetzt darf nichts mehr schiefgehen!«
Brendan beruhigte sie: »Mach dir mal darüber keine unnötigen Gedanken, mein Schatz! Du kannst dich ganz sicher fühlen. Von nun an geht es nur noch bergauf mit uns. Jackson, unser Vorarbeiter in der Gießerei, weiß schon, was er an Liam und mir hat! Wir bringen auch weiterhin gutes Geld nach Hause, genau wie ihr.«
»Das wird auch nötig sein, wenn wir von nun an jeden Monat sieben Dollar Miete zahlen und dazu auch noch Lebensmittel, Lampenöl, Kohlen und Brennholz zum Kochen kaufen wollen!«, erwiderte Éanna nachdenklich. Nein, sicher fühlte sie sich noch lange nicht, so viel stand fest. Denn wirklich sicher war in ihrer Welt nur, dass nichts sicher war und dass jeder neue Tag eine gute oder aber eben auch eine böse Überraschung bringen konnte.
Wenig später bogen sie von der Mott Street, über die sie den Chatham Square verlassen hatten, nach links in die Cross Street ein. Schon auf der Mott Street hatten sie links und rechts der Straße immer mehr heruntergekommene, windschiefe Bretterhäuser und Mietskasernen gesehen; in der Cross Street reihten sich nun baufällige Gebäude dieser Art nahtlos aneinander. Inzwischen wussten sie auch, warum so viele Häuser in Five Points auf abgesackten Fundamenten standen, die im Laufe der Zeit zu langen Rissen in den Fassaden und Innenwänden, zu verzogenen Fensterrahmen und klemmenden Türen geführt hatten:
Das Viertel – einst ein blühender Stadtteil, in dem vor allem wohlhabende New Yorker Bürger lebten – stand nämlich auf einem ehemaligen Sumpfgelände, das bei seiner Erschließung nicht gründlich genug trockengelegt und mit festem Erdreich aufgefüllt worden war. Bereits nach kurzer Zeit hatte sich der Grund unter den Gebäuden deshalb unterschiedlich weit abgesenkt und zu schweren Beschädigungen geführt. Daraufhin waren die damaligen Bewohner und Geschäftsleute nach und nach aus ihren Häusern ausgezogen und hatten sich in baulich sichereren Gegenden von New York niedergelassen. Nachgeströmt waren ebenjene Hungerleider, die nicht die freie Wahl hatten, wo sie wohnen wollten, sondern die ein möglichst billiges Quartier suchten. Und das waren vor allem die verarmten Einwanderer gewesen, die gemeinsam mit
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