Éanna - Ein neuer Anfang
Großteil des Sommers im Cottage verbringen. Dort herrscht stets ein reges Kommen und Gehen von Gästen!«, versicherte ihm Gaylord sofort.
»Na, dann dürfte die Bezeichnung Cottage ja wohl etwas untertrieben sein, oder?« Patrick lachte.
Auch Gaylord musste grinsen. »Immerhin hat mein Vater einen gewissen Ruf zu wahren. Es wird sehr nett dort werden, du wirst sehen. Es ist jeden Sommer eine bunt gemischte und fröhliche Gesellschaft, die sich im Cottage einfindet, und du passt glänzend dazu. Wir werden unseren Spaß dort haben, das garantiere ich dir. Und du wirst ja wohl meinen Vater nicht enttäuschen wollen! Also los, dein Ehrenwort darauf, dass du uns besuchst!«
Gaylord brauchte ihn nicht lange zu bedrängen. Die Aussicht, der Stadt in den heißen Sommermonaten zu entkommen und die Zeit am Strand von Long Island zu verbringen, war einfach zu verlockend. Er würde einen Stoß Bücher zum Rezensieren mitnehmen und zugleich viel Geld für eine Unterkunft in New York sparen. Und so sagte Patrick bereitwillig zu. Dass ihm dabei auch das reizende Bild von Florence Sloane vor Augen stand, dessen wurde er sich erst viel später bewusst.
Dreizehntes Kapitel
Am Montagmorgen warteten Éanna und Emily schon in aller Frühe ungeduldig darauf, dass Kate O’Hara an ihre Tür klopfte, um sie abzuholen. Um kurz vor sieben war es so weit – bepackt mit einem dicken, schweren Leinensack, den sie sich über die Schulter gelegt hatte, zog die Nachbarin mit ihnen los, um sie zu der Kleidermanufaktur zu bringen, für die sie selbst und ihre neunjährigen Zwillingstöchter Sarah und Sophie Hemden und Blusen nähten.
Kate O’Hara war eine schlanke Frau, die wohl noch keine dreißig Jahre alt sein mochte, jedoch mit ihrer grauen Haut und den dunklen Tränensäcken unter den großen Augen gute zehn Jahre älter wirkte. Ihre einfache Kleidung war sauber und gepflegt; selbst die Flicken auf der hellblauen Kittelschürze waren so geschickt eingesetzt, dass man sie erst bei näherem Hinsehen entdeckte.
Auf dem Weg sprach sie freundlich und interessiert mit Éanna und Emily und machte ihnen mit aufmunternden Worten Mut; ihr eigenes schweres Schicksal – die Armut und die alleinige Verantwortung für ihre beiden Töchter – schien sie zu tragen, ohne zu verzweifeln oder aufzugeben.
»Die Kleidermanufaktur liegt drüben in der William Street, kurz hinter der Black Horse Tavern, und sie gehört Mister Kerrigan«, erzählte sie, während sie in die Mulberry Street einbogen und in südöstliche Richtung gingen. »Chester Kerrigan ist für einen Mann seiner Art ein verhältnismäßig umgänglicher Mensch, er drückt auch schon mal ein Auge zu, wenn eine Naht nicht hundertprozentig sauber und gerade genäht ist. Natürlich nur, wenn einem solch ein Patzer nicht allzu oft passiert.«
Éanna und Emily nickten stumm und hörten, froh über die Informationen und Ratschläge, aufmerksam zu.
»Aber bei Margaret, seiner Frau, müsst ihr auf der Hut sein«, fuhr Kate fort, »sie ist eine kratzbürstige und meist übel gelaunte Person, die einem nichts durchgehen lässt. Die zieht sofort einen Cent vom Lohn ab, wenn sie auch nur einen Knopf sieht, der nicht ganz fest angenäht ist. Und sie kann richtig fuchsig werden, wenn sie an den Hemden und Blusen auch nur einen winzigen Schmutzfleck findet! Dann berechnet sie für die Reinigung gleich unverschämte zwei Cent, selbst dann, wenn es nur ein paar rascher Bürstenstriche bedarf, um den Fleck zu beseitigen. Aber ich rate euch: Hütet eure Zunge in ihrer Gegenwart, denn wer Widerworte wagt, ist bei ihr sofort unten durch. Und dann muss man förmlich auf Knien darum betteln, neue Arbeit zu bekommen!«
»Dann können wir ja nur hoffen, dass wir heute Morgen auf Mister Kerrigan und nicht auf seine miesepetrige Frau treffen«, stellte Éanna beklommen fest.
»Wir werden sehen. Ich will euch nicht zu viel versprechen, aber ich glaube doch, dass auch Missis Kerrigan trotz ihrer unfreundlichen Art etwas auf mein Wort gibt. Und alles in allem ist man bei den Kerrigans doch noch verhältnismäßig gut dran, das dürft ihr auch nicht vergessen. Wenn man hört, wie skrupellos andere Kleiderfabrikanten ihre Arbeiterinnen betrügen, wie schamlos sie ihre Not ausnutzen und sie um ihren sauer verdienten Lohn bringen, kann man froh sein, wenn man in der Firma der Kerrigans Arbeit findet«, erklärte Kate O’Hara. »Außerdem kommt ihr zur richtigen Zeit. Denn in den nächsten drei Monaten müssen die
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