Éanna - Ein neuer Anfang
erschien ihr eine solche Summe jede noch so harte Anstrengung wert. Endlich würden sie sogar einen Teil ihres Geldes sparen können!
»Meine Enttäuschung wird sich in Grenzen halten und nur eine einzige Konsequenz haben«, entgegnete Chester Kerrigan trocken, »nämlich die, dass ich eure Namen in meinem Buch durchstreiche und ihr euch anderswo Arbeit suchen müsst.« Dann rechnete er mit Kate O’Hara ab und brachte ihr das Material für vierzig neue Hemden.
Zum Glück hatte diese einen zweiten großen Leinensack mitgebracht, in dem Éanna und Emily nun ihr Material verstauten. Dann machten sich die drei in Hochstimmung auf den Heimweg.
Unterwegs kauften Éanna und Emily in einem Laden für Nähutensilien, wo Kate Stammkundin war, noch Garn, Fingerhüte und Scheren, um für ihre Arbeit gut gerüstet zu sein. Und weil Miss O’Hara für sie bürgte, durften die beiden Mädchen anschreiben lassen und mussten die gekauften Dinge erst am nächsten Montag, wenn sie von den Kerrigans ihren Lohn erhalten hatten, bezahlen.
Zu Hause angekommen, nahm sich die Nachbarin sogar noch die Zeit, auf einem Tisch die Schnittteile eines Hemdes in der richtigen Reihenfolge auszubreiten und zu erklären, wie sie am schnellsten zusammenzunähen waren und worauf Éanna und Emily dabei achten mussten.
Dann waren die zwei auf sich allein gestellt und machten sich – anfangs noch voller Zuversicht – daran zu beweisen, dass sie die neue Arbeit tatsächlich bewältigen konnten. Doch das böse Erwachen ließ nicht lange auf sich warten. Es kam nach der ersten Freude, eine Anstellung als Heimnäherinnen gefunden zu haben, noch am selben Tag.
Vierzehntes Kapitel
Es war noch nicht einmal Mittag, als Éanna und ihrer Freundin schon die Hände zu schmerzen begannen und sich die ersten Fehler einschlichen.
»Warte! Jetzt sitzt auch deine Naht schief!«, rief Emily plötzlich warnend, die selbst bereits den Saum eines Hemdes hatte auftrennen und neu vernähen müssen.
Éanna runzelte die Stirn, zog den Ärmel gerade und sah nun auch, dass die Naht hoch zur Achsel einen kaum merklichen, aber bei genauer Prüfung doch deutlich erkennbaren Bogen machte.
»Mist, warum ist mir das nicht selbst schon viel früher aufgefallen?«, ärgerte sie sich und griff zu ihrer kleinen Schere. »Jetzt kann ich noch einmal von vorne beginnen!«
»Ich fürchte, das wird nicht die einzige Naht sein, die wir in den nächsten Tagen wieder auftrennen müssen«, sagte Emily stirnrunzelnd. »Wenn wir uns da mal bloß nicht zu viel zugetraut haben! Und was soll erst werden, wenn die Schonzeit abgelaufen ist und jede von uns beiden dreißig Hemden in der Woche nähen muss!«
»Ach was, das sind doch nur lästige Anfängerfehler. Wir sind es eben einfach noch nicht gewohnt, so schnurgerade zu nähen«, widersprach Éanna ihrer Freundin heftig. Sie mussten den Ansprüchen der Kerrigans einfach gerecht werden, eine Alternative gab es nun einmal nicht. »Bei unseren alten Sachen ist es schließlich nie auf solch eine penible Genauigkeit der Nähte angekommen. Aber mach dir keine Sorgen, wir kriegen den Bogen schon raus.«
»Eine Art von Bogen beherrschen wir offenbar schon recht gut!«, spottete Emily.
Éanna lachte. »Du wirst sehen – den werden wir uns schnell abgewöhnen und zu Meisterinnen der geraden Nähte und fest sitzenden Knöpfe werden! Es wäre doch gelacht, wenn wir beide nicht hinbekommen, was so viele andere vorher auch nicht besser konnten als wir!«
So saßen sie Stunde um Stunde am Tisch, sprachen einander Mut zu und setzten konzentriert und wachsam gegenüber den eigenen gelegentlichen Fahrlässigkeiten eine Naht nach der anderen. Manchmal schlichen sich dabei erneut Fehler ein, doch ganz allmählich gelang es ihnen, diese immer rechtzeitiger zu erkennen.
Aber der Mangel an Erfahrung in akkurater Näharbeit, die noch ungelenken Finger und ihre Vorsicht, bloß keinen richtig groben Fehler zu machen oder gar Schweiß auf den Stoff tropfen zu lassen, all das kostete natürlich Zeit. So hatte jede von ihnen, als es Abend wurde und sie ihre Arbeit unterbrechen mussten, um das Abendessen zuzubereiten, nicht einmal zwei Hemden zusammengenäht.
»Und wennschon!«, meinte Éanna trotzig, als Emily niedergeschlagen auf das halb fertige zweite Hemd blickte. »Nach dem Essen machen wir weiter. Und morgen arbeiten wir bestimmt schon schneller als heute. Die dreißig Hemden schaffen wir bis Montagmorgen, Emily, so wahr ich Éanna Sullivan heiße! Aber
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