Éanna - Ein neuer Anfang
Befürchtung, nicht genug entsprechende Kleidung für einen längeren Aufenthalt zu besitzen, hatte sich schnell als völlig grundlos erwiesen. Die drei hellen Sommerhosen, die vier kurzärmeligen Hemden und die beiden Paar Schuhe für Strand und Tennisplatz, die er auf der Bowery Street bei Second, But First Class erstanden hatte und die, ebenso wie sein Abendanzug, noch wie neu aussahen, reichten völlig aus. Denn was er morgens an Schmutzwäsche in den Wäschekorb in seinem geräumigen Gästezimmer warf, fand er am Abend gewaschen, gebügelt, gestärkt und aufgehängt in seinem Kleiderschrank wieder. Und bis auf gelegentliche festliche Dinner, wenn wichtige Geschäftsfreunde des Hausherrn im Cottage zu Gast waren, herrschte bei den Sloanes eine angenehm lockere Kleiderordnung, die Patrick, genauso wie die meisten anderen männlichen Gäste, dankbar befolgte. Anders als die Frauen, die es sich nicht nehmen ließen, mehrmals am Tag die Garderobe zu wechseln. So trugen sie, ganz auf den jeweiligen Anlass abgestimmt, einmal die edelsten Abendroben, dann wieder luftige bunt bedruckte Gewänder und große Hüte für den Strand, sportlich-moderne Tenniskleidung oder elegante Kostüme bei Spaziergängen oder Ausflügen in die nahe Umgebung.
Dabei ergab es sich meist, dass Patrick an der Seite von Florence ging. Sie hatten immer etwas zu besprechen, Florence lachte viel und gern und bestand bereits nach der zweiten Woche darauf, dass sie einander endlich mit Vornamen ansprachen.
»Denn es gefällt mir bedeutend besser, Patrick als Mister O’Brien zu Euch zu sagen«, hatte sie mit einem koketten Augenaufschlag gesagt, um dann leicht errötend hinzuzufügen: »Denn dann fühle ich mich Euch näher. Und ich hoffe, dass auch Ihr so denkt … und fühlt.«
Das war der erste, fast schon unschicklich offene Hinweis darauf gewesen, dass die freundliche Aufmerksamkeit, die sie ihm hier auf Long Island seit seiner Ankunft schenkte, nicht nur in der gebotenen Höflichkeit der wohlerzogenen Tochter der Gastgeber begründet lag.
Er hatte ihr an dem Tag sofort versichert, dass er sich über ihren Wunsch sehr freue und gar nicht wisse, womit er diese außergewöhnliche Liebenswürdigkeit verdient habe.
»Dann bemüht Euch doch, sie Euch im Nachhinein zu verdienen, Patrick«, hatte Florence lächelnd erwidert.
An diesem Abend hatten sie zum ersten Mal allein einen Spaziergang am Strand gemacht – natürlich waren in gebührendem Abstand ihre kichernden Freundinnen mit zwei Freunden von Gaylord gefolgt und dahinter zwei Mütter, die, dem Gebot der Schicklichkeit gehorchend, die Rolle der Gouvernanten übernommen hatten.
Und damit hatten die Dinge ihren Lauf genommen. Denn William Sloane und seine Frau schienen ganz offensichtlich nichts dagegen zu haben, dass Gaylords irischer Freund ihrer Tochter den Hof machte, wenn Patrick auch sehr darauf bedacht war, Florence seine wachsende Zuneigung zurückhaltend zu zeigen.
Doch lag er dann nachts allein in seinem Bett, überfielen ihn oft Zweifel und Gewissensbisse. Denn sowohl Florence als auch ihr Bruder und ihre Eltern hielten ihn noch immer für den wohlhabenden Erben des Wexford-Unternehmens. Gemäß dem gesellschaftlichen Kodex gingen sie davon aus, dass die beiden Töchter seines Onkels bei ihrer Heirat zwar eine stattliche Mitgift erhalten würden, Patrick dagegen als einzigem männlichem Nachkommen der Löwenanteil des Vermögens zufallen würde. Auch den wahren Grund seines Aufenthalts in New York hatte er ihnen bisher verschwiegen. Und so schien die ganze Familie Sloane nur darauf zu warten, dass er, der in ihren Augen die Zeichen der neuen Zeit erkannt hatte, ihnen eröffnete, in New York einen Ableger der Wexford-Brauerei gründen zu wollen.
Sie mussten ihn daher für eine gute Partie halten, die dem Stand ihrer Tochter angemessen war. Hätten sie gewusst, dass er gerade einmal zweihundert Dollar auf dem Konto hatte und sich seinen Unterhalt mit der Lektüre der vielen Bücher verdiente, die er vor ihren Augen so gewissenhaft studierte, wäre sein Ansehen bei Gaylord und seinen Eltern schnell gesunken, dessen war er sich sicher.
Aber es war nicht nur seine Unaufrichtigkeit, die ihn in vielen Sommernächten auf Long Island quälte, sondern trotz oder gerade wegen der reizenden und zunehmend vertrauter werdenden Bekanntschaft mit Florence auch die Sehnsucht nach Éanna. Und da half es auch nicht, sich immer wieder vor Augen zu halten, dass Éanna sich nicht für ihn, sondern
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