Éanna - Ein neuer Anfang
für Brendan entschieden hatte, dass sie für ihn verloren war und er sie endlich vergessen und über den Schmerz hinwegkommen musste.
Stunde um Stunde lag er wach und glitt oft erst gegen Morgen in einen unruhigen Schlaf. Häufig träumte er dann davon, dass er auf eine weit entfernte Person zulief, die einmal Éanna, dann wieder Florence ähnelte, ohne sie je erreichen zu können und Gewissheit zu erlangen.
Siebzehntes Kapitel
Ein tiefblauer Himmel spannte sich über das leicht gewellte Land, das sich bis zum Horizont erstreckte, wenn man auf einem der kleinen Hügel stand und den Blick in die Ferne schweifen ließ.
Das Getreide stand schon hoch, wie ein goldenes Meer wogte es im sanften Wind. Ihre flache Hand streifte die Ähren, während sie langsam an dem Feld entlangging. Nicht mehr lange und sie würden die ersten Früchte ihrer Arbeit ernten und in Scheune und Keller lagern können: Korn, Kartoffeln und Äpfel. Es würde ein gutes Jahr werden.
Hinter sich hörte sie die vertrauten Geräusche des Hofes, das Gegacker der Hühner und das gleichmäßig rhythmische Geräusch der Axt, mit der Brendan Feuerholz spaltete, damit sie für den Winter gut gerüstet waren. Sie würden nicht frieren müssen. Und wenn ihre Milchkuh dann im nächsten Jahr ihr erstes Kalb warf …
Éanna zuckte zusammen. Der Geruch nach Erde und frischem Gras war plötzlich scharf geworden, irgendwie stechend, verbrannt … Ohne Vorwarnung packte sie plötzlich ein heftiger Windstoß und riss sie zur Seite.
»Éanna! Um Gottes willen, wach auf!«
Brendans sich überschlagende Stimme riss Éanna jäh aus ihrem Traum. Sie öffnete die Augen und richtete sich verschlafen auf. Tiefste Finsternis umgab sie. Kein Stern war zu sehen. Dann erinnerte sie sich, wo sie war: in dem kleinen stickig-warmen Zimmer in ihrer Wohnung, in die sie mit Brendan und Emily geflüchtet war, nachdem sie am Abend ein heftiges Sommergewitter auf dem Dach überrascht hatte. Nach den entsetzlich schwülen, drückenden letzten Tagen waren sie alle drei froh über die Abkühlung gewesen.
»Was …?« Weiter kam sie nicht, denn als sie den Mund öffnete, drang sofort Qualm in ihre Lunge. Sie hustete.
»Es brennt!«, ertönte Emilys panische Stimme aus dem Zimmer nebenan. »Im Haus muss irgendwo Feuer ausgebrochen sein!«
»Wir müssen hier raus, bevor es zu spät ist!« Brendan zerrte Éanna vom Bett hoch.
Im Treppenhaus war nun Geschrei zu hören.
»Die Hemden!«, stieß Éanna hustend hervor und versuchte, sich von Brendan loszumachen. »Wir müssen die Hemden zusammenraffen! Wenn wir die hier zurücklassen, verlieren wir den Dollar Pfand und kriegen keine neue Arbeit mehr …«
»Vergiss die verdammten Hemden!«, schrie Brendan und zog sie energisch hinter sich her. »Hier geht es um unser Leben! In so einem verfluchten Kasten frisst sich das Feuer doch im Nu von einem Stockwerk ins andere.«
»Beeilt euch doch!« Im nächsten Moment tanzten unruhige Schatten über den Türrahmen. Das Feuer musste bereits ganz in der Nähe ihrer Wohnung sein. Éanna konnte Emily nun deutlich erkennen, die hastig ihre Kleidung von den Nägeln neben der Tür zerrte. »Wir müssen hier sofort raus!«
»Aber die Bücher!«, rief Éanna verzweifelt, riss sich von Brendans Hand los und lief zurück in den angrenzenden, noch immer stockdunklen Raum, wo sie fieberhaft und orientierungslos nach dem verschnürten Paket tastete. Es musste links neben ihrem Kissen auf der Matratze liegen. Aber wo war ihre Bettseite und wo das Kopfende des Bettes? »Die Bücher dürfen wir … auf keinen Fall zurücklassen, sonst … stürzen wir ins Elend!«, stieß sie mühsam hervor. Der Rauch brannte ihr inzwischen in den Augen und in der Lunge.
»Éanna! Komm jetzt!«, schrie Brendan so laut, wie sie ihn bisher nie hatte schreien hören.
Da stieß ihre Hand endlich an etwas Hartes, Kantiges. Die Bücher! Sie zerrte sie an der Kordel zu sich heran. Und dann war Brendan auch schon bei ihr, packte sie fest am Oberarm und zerrte sie mit sich aus ihrer Schlafkammer, durch das zweite Zimmer und hinaus in den Tumult auf den Flur.
Das Geschehen im Treppenhaus erinnerte an eine Szenerie aus einem Alptraum: Dicke Rauchschwaden stiegen aus der Tiefe auf, trieben durch die Gänge und ließen die vielen in haltloser Panik fliehenden Menschen husten und keuchen. Das Feuer schien bereits das gesamte zweite Stockwerk erfasst zu haben. Prasselnd und brüllend fraß es sich nun, aus den beiden Seitenkorridoren
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