Éanna - Ein neuer Anfang
Windes und die Möglichkeiten seiner Jolle noch waghalsiger aus als Patrick, der erst in den vergangenen sechseinhalb Wochen hier auf dem Atlantik das Segeln gelernt hatte. Immer wieder hob sich Gaylords Boot auf der Luvseite gefährlich weit aus den Wellen, sodass für kurze Momente sogar ein Teil des Schwertes zu sehen war. Doch jedes Mal, wenn Patrick sicher war, nun müsse der Freund unweigerlich kentern, zog Gaylord ein wenig die Pinne an und brachte sein Schiff gerade noch rechtzeitig wieder in eine stabile Segellage.
Auf der letzten halben Meile ihres Wettrennens schienen sie dem Strand und dem höher gelegenen Cottage förmlich entgegenzufliegen. Patrick war wie berauscht von diesem neuen Gefühl der Schwerelosigkeit und Freiheit. Dass Gaylord gute zwei Bootslängen vor ihm lag, als sie in das flache Ufergewässer gelangten, kümmerte ihn kaum. Der Amerikaner johlte siegessicher und winkte ihm zu. Er manövrierte geschickt und sein Boot schien nun noch einmal an Geschwindigkeit zuzulegen. Das Cottage der Sloanes war nun schon deutlich zu erkennen: ein herrschaftliches zweistöckiges Anwesen aus grauem witterungsbeständigem Zedernholz, das aus einem weitläufigen Mitteltrakt und zwei schmalen Seitentrakten bestand. Der auffällige Mittelteil des Hauses lag mit seiner großen und halb überdachten Veranda parallel zum Strand, von hier hatte man einen weiten Blick über die Dünen und das Meer. Ein breiter Bohlensteg führte von der Terrasse zum Strand hinunter, wo weiß lackierte Tische, Stühle und Liegen unter mehreren gelb-weiß gestreiften Sonnenbaldachinen zum Verweilen einluden. Unter einem dieser Baldachine erkannte Patrick nun Florence und zwei ihrer Freundinnen. Alle drei trugen einen Sonnenhut, um die empfindliche Haut vor der unbarmherzigen Sonne zu schützen. Sie schienen das Wettrennen aufmerksam zu verfolgen.
Und dann war der Strand auch schon nah. Patrick steuerte auf den Liegeplatz für die sechs Jollen der Sloanes zu, der neben einer kleinen Hütte lag, in der die verschiedensten Segelutensilien aufbewahrt wurden. Er gab das Segel frei und legte die Pinne quer, um die Fahrt aus seinem Schiff zu nehmen. Gaylord dagegen hielt weiter unbeirrt auf den Strand zu. Erst im letzten Moment riss er das Schwert hoch. Der Rumpf fuhr knirschend auf den Sand auf, erst anderthalb Längen hinter der Brandungslinie kam das Boot zum Stehen und wurde von dem noch immer geblähten Segel auf die Leeseite gerissen. Mit einem geschickten Satz sprang Gaylord heraus und bewahrte sich so davor, in den Sand geworfen zu werden. Er lachte und machte eine galante Verbeugung vor Florence und ihren Freundinnen, die erschrocken aufgestanden waren und nun erleichtert Beifall klatschten.
»Das war gar nicht schlecht, mein Lieber!«, rief Gaylord Patrick mit einem breiten Grinsen zu. »Aber wenn du nicht endlich mal aufs Ganze gehst, schlägst du mich nie!«
»Eines Tages legst du mit deinen riskanten Manövern noch einen richtigen Mast- und Schwertbruch hin!«, erwiderte Patrick, während er im knietiefen Wasser aus der Jolle stieg und sie den Strand hinaufzog.
»Und wennschon!«, winkte Gaylord ab und kam ihm entgegen. »Dann wird das Schiff eben repariert. Und es ist ja weiß Gott nicht so, als ob wir nur dieses eine hätten! Morgen müssen wir unbedingt auch Tim und Jonathan dazu bringen, mit uns ein Rennen zu segeln. Tim ist ziemlich stark, er hat mich im letzten Jahr sogar einmal geschlagen. Aber jetzt lass uns erst mal was trinken gehen! Ich habe einen höllischen Durst nach der Anstrengung.«
Als Patrick mit Gaylord zur Veranda hinaufging, winkte Florence ihnen zu. Und während ihr Bruder seine Schwester gar nicht mehr wahrnahm, erwiderte Patrick die Geste, woraufhin Florence’ Freundinnen sofort kichernd die Köpfe zusammensteckten.
Auf der Terrasse kam ihnen Jonathan Walsh, ein schlaksiger junger Mann mit pomadisiertem Haar, sichtlich erregt entgegen. »Mensch, habt ihr das schon gelesen?«, rief er ihnen aufgeregt zu und wedelte mit einer Zeitung in der erhobenen Hand.
»Ist irgendwo ein Krieg ausgebrochen oder ein Passagierdampfer abgesoffen?«, fragte Gaylord mit gespieltem Entsetzen.
»Nein, hier steht, dass ein paar Siedler in Kalifornien – drüben an der Westküste in einem Tal bei Sacramento – Gold gefunden haben! Das soll dort praktisch auf der Straße liegen! Mann, da müsste man jetzt hin!«
Gelangweilt winkte Gaylord ab. »Ach glaub doch nicht alles, was diese Schmierfritzen in den Zeitungen
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