Éanna - Ein neuer Anfang
wenigstens einer von euch eine regelmäßige Arbeit, die einigermaßen anständig bezahlt wird?«
Éanna schwieg, die Lippen fest zusammengepresst.
»Bitte lass dir doch helfen«, bat Patrick. »Nur deshalb bin ich heute zu dir gekommen.«
»Ich nehme kein Geld von Euch!«, entgegnete sie sofort abwehrend. Patrick seufzte. »Ich weiß. Ich kenne dich so gut, Éanna, und ich wusste genau, wie du auf mein Angebot reagieren würdest. Aber hör mir doch erst einmal zu: Ich habe gar nicht vor, dir Geld anzubieten. Obwohl es mir eine Freude gewesen wäre, dich auf diese Weise zu unterstützen. Aber ich glaube, ich habe einen viel besseren Weg gefunden, dir zu helfen, ohne dadurch deinen Stolz zu verletzen.«
»Und wie soll das gehen?«, fragte sie und die Hoffnung, doch noch einen Weg zu finden, dem Elend in der Mulberry Street zu entkommen, schwang plötzlich deutlich hörbar in ihren Worten mit.
»Ich habe die Absicht, dich in einem guten amerikanischen Haus als Dienstmädchen in Stellung zu bringen – vorausgesetzt, du sagst dazu Ja!«, verkündete er ihr mit einem Lächeln.
Überrascht sah Éanna ihn an. Dann lachte sie ungläubig. »Ich soll ein Dienstmädchen in einem guten Haus werden? Habt Ihr denn keine Augen im Kopf, Mister O’Brien? So dreckig und zerlumpt, wie ich bin, komme ich noch nicht einmal durch den Dienstboteneingang einer besseren Taverne, geschweige denn eines guten Hauses! Auch scheint Ihr mit Scheuklappen über den Augen hier in New York unterwegs zu sein, denn sonst hättet Ihr längst die vielen NINA-Schilder gesehen, die überall hängen, wo Dienstpersonal gesucht wird, und würdet mich heute nicht in meinem Elend auch noch zum Narren halten. Und ich dachte immer, Ihr würdet mit offenen Augen und wachem Verstand durch die Welt gehen!«
»Dann haben wir uns eben beide ineinander getäuscht, Éanna. Denn ich war bisher davon überzeugt, dass du inzwischen weißt, wie sehr du dich auf meine Hilfe verlassen kannst. Ich dachte, du wüsstest, dass ich nicht einfach irgendetwas dahersage, sondern mir sehr genau überlege, was ich tun kann, um dir zu helfen!«, erwiderte er aufgebracht über ihren ungerechten Zorn. »Du machst es mir mit deinem falschen Stolz und dem wenigen Vertrauen, das du in mich zu haben scheinst, wahrlich nicht leicht, Éanna Sullivan! Habe ich jemals etwas getan, das dein abweisendes Verhalten rechtfertigt? Habe ich dich irgendwann einmal verletzt oder dir das Gefühl gegeben, ein besserer Mensch zu sein als du?«
Éanna schoss bei seinen Worten das Blut ins Gesicht. »Nein, das habt Ihr nicht«, murmelte sie beschämt.
»Mein Gott, ich liebe dich, Éanna!«, brach es plötzlich aus ihm heraus. »Und ich kann es nicht mit ansehen, wenn du leidest! Ich habe inzwischen akzeptiert, dass du meine Gefühle nicht erwidern kannst, auch wenn es mir schwerfällt. Aber ich will das Recht haben, dir zu helfen, wenn es in meiner Macht steht. Verstehst du das denn nicht? Meine Hilfe abzuweisen, hat nichts mit Stolz oder mit Angst um deinen Brendan zu tun, den ich wohl akzeptieren muss, sondern ist in meinen Augen eine unverzeihliche Dummheit und noch dazu hartherzig. Und zwar nicht nur gegen mich, sondern auch gegenüber denjenigen, deren Wohl dir am Herzen liegt: gegenüber Brendan und deiner Freundin Emily. Wie viel besser würde es auch ihnen gehen, wenn du einmal über deinen Schatten springen und meine Hilfe annehmen würdest!« Er holte tief Luft und versuchte, sich wieder zu beruhigen. »Also wollen wir nun wie zwei vernünftige Menschen miteinander reden oder weiter dieses kindische Spiel spielen, zu dem auch dein unsägliches ›Mister O’Brien‹ gehört, mit dem du mich jedes Mal, wenn du es aussprichst, tief verletzt?«
Éanna war sprachlos über das unerwartete Geständnis. »Es tut mir leid, Mis. . . Patrick.« Sie räusperte sich und fuhr dann fort: »So … so habe ich es nicht gemeint … und nie war es meine Absicht, Euch zu verletzen, nach allem …«
Schnell fiel er ihr ins Wort. »Lass es gut sein, Éanna. Ich denke, ich weiß, warum du glaubst, mir so abweisend begegnen zu müssen. Lass uns das Gespräch noch einmal neu beginnen. Denn ich möchte dir endlich ein bisschen mehr zu dieser Anstellung als Dienstmädchen erzählen, die ich für dich gefunden habe.«
Stumm wartete Éanna darauf, dass er fortfuhr.
»Natürlich sind mir die unverschämten NINA-Schilder überall in der Stadt nicht entgangen. Aber dennoch sind viele unserer Landsleute sehr wohl hier
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