Éanna - Ein neuer Anfang

fieberhaft zu überlegen, wie er ihr helfen konnte. Er wusste, dass sie nicht wieder Geld von ihm annehmen würde. Doch es musste einen Weg geben, Éanna zu helfen, ohne gegen ihren Dickkopf und ihren Stolz ankämpfen zu müssen.
    Vor den Fenstern war es schon dunkel, als ihm endlich eine Idee kam, die er nicht sofort wieder verwarf. Er dachte an die vielen Gespräche in geselliger Runde bei den Sloanes zurück und ein Gesprächsthema hob sich in seiner Erinnerung deutlich von den anderen ab. Und plötzlich wusste er, wie er Éanna helfen konnte.
    Doch er würde für seinen Plan eine Verbündete brauchen und er konnte nur hoffen, dass diese den Großmut besaß, ihm und Éanna ihre Hilfe zu gewähren.
    Voller Tatendrang sprang er auf, setzte sich an den Sekretär, holte Papier, Tintenfass und Feder hervor und begann, einen Brief aufzusetzen.

Neunzehntes Kapitel
    Anderthalb Wochen später stand Patrick am frühen Morgen in Five Points im Schatten eines Tordurchgangs und wartete. Auch wenn er vorgab, völlig mit dem Stopfen seiner Pfeife beschäftigt zu sein, so galt sein Interesse in Wirklichkeit dem Hauseingang der Mietskaserne auf der anderen Straßenseite, wo Éanna mit Brendan, ihrer Freundin Emily und einem ihm unbekannten Mann namens Liam Maguire für fünf Cent die Nacht Unterschlupf gefunden hatte. Voll Ungeduld und banger Ungewissheit, welchen Verlauf sein Wiedersehen mit Éanna nehmen würde, hatte er sich nun schon seit zwei Stunden nicht von der Stelle bewegt.
    Bereits in der vergangenen Woche, noch bevor der Antwortbrief von Florence bei ihm eingetroffen und sie tags darauf mit ihrer Familie nach New York zurückgekehrt war, hatte er dreimal bei Sonnenaufgang Ausschau nach Éanna gehalten und die Mietskaserne aus einer noch weiteren Entfernung als an diesem Morgen beobachtet. Und stets war sie zwischen sechs und halb sieben mit ihren Freunden aus dem Haus gekommen. Während die beiden Männer den Weg zu den Docks einschlugen, waren Éanna und Emily gewöhnlich in die entgegengesetzte Richtung losgezogen und hatten sich dann bald voneinander verabschiedet, um auf den Straßen Streichhölzer zu verkaufen. Patrick hoffte inständig, dass es an diesem Morgen nicht anders sein würde.
    Endlich traten die beiden Paare aus dem Haus. Es versetzte ihm einen kleinen Stich, als er sah, wie Brendan Éanna zum Abschied einen Kuss gab, bevor er mit Liam die Mulberry Street in Richtung Chatham Street hinunterging. Allem Anschein nach hatten die Männer an diesem Morgen vor, ihr Glück bei den Docks am East River zu versuchen und dort nach Arbeit zu fragen. Wie in den Tagen zuvor liefen Éanna und Emily stattdessen nach Nordwesten.
    Patrick wartete sicherheitshalber noch einen Moment. Dann winkte er die Mietkutsche heran, die einige Dutzend Schritte weiter unten auf der Straße auf ihn wartete.
    »Seht Ihr die beiden jungen Frauen, die dort drüben gerade die Straße überqueren?«, rief er dem Kutscher hastig zu und deutete auf Éanna und Emily.
    »Na, die sind ja wohl nicht zu übersehen, Sir«, gab der Kutscher mürrisch zurück.
    »Sie werden sich bald trennen und verschiedene Wege einschlagen«, teilte Patrick ihm mit. »Folgt der Frau in dem dunkelgrünen Kleid und mit dem rötlich blonden Haar! Sobald die andere Frau außer Sicht ist und ich Euch das erste Klopfzeichen gebe, bringt Ihr Eure Kutsche auf eine Höhe mit ihr und haltet auf mein zweites Klopfzeichen hin an.«
    »Von Dunkelgrün und Rötlichblond sehe ich zwar nichts, sondern nur den üblichen Dreck der Five Pointer, aber es soll mich nicht kümmern, was Ihr vorhabt, solange Ihr mir wie verabredet meinen Lohn zahlt«, brummte der Kutscher achselzuckend und wenig respektvoll.
    Patrick schluckte die ärgerliche Antwort, die ihm auf der Zunge lag, hinunter, stieg schnell in die Kutsche und schob das Fenster hoch, sobald er den Kutschenschlag zugezogen hatte. Es dauerte nicht lange, bis Éanna sich an der Kreuzung Mulberry Street/Walker Street von ihrer Freundin trennte. Während Emily der Mulberry Street nach Norden folgte, bog Éanna links in die Walker Street ein und wanderte wenig später die Centre Street hinauf. Patrick nahm an, dass die beiden Mädchen verabredet hatten, parallel zueinander zu laufen, um sich unterwegs immer wieder einmal zu treffen.
    Er gab dem Kutscher das erste Klopfzeichen und der Mann ließ das Pferd etwas schneller traben. Als er Éanna zu seiner Linken sah, klopfte er erneut gegen die vordere Wand und der Kutscher brachte sein