Éanna - Ein neuer Anfang
lachte befreit und zwinkerte Patrick dann vergnügt zu. »Nun, aber ich bin heute nicht hergekommen, um Euch mein Herz auszuschütten, Mister O’Brien. Ich habe mir aus einem ganz anderen Grund die Freiheit genommen, die Direktion Eures Hotels zu bitten, mir unverzüglich eine Nachricht zukommen zu lassen, wenn Ihr wieder hier eintrefft.«
Patrick wurde immer neugieriger. Was mochte den Buchhändler dazu bewogen haben, sich diese Mühe zu machen? Hatte es vielleicht mit Éanna zu tun? War ihr womöglich etwas zugestoßen?
»Nun erzählt endlich, weshalb Ihr hier seid!«, drängte er.
»Nun ja, es handelt sich um die …«, Mister Templeton zögerte kurz, sichtlich erfreut über Patricks Neugierde, ». . . um die junge Dame, von der Ihr mir im Mai berichtet habt und der ich Eure Adresse geben sollte, wenn sie in meinem Geschäft nach Euch fragen würde.«
Patricks Herz machte einen Sprung. »Ist Miss Éanna Sullivan zu Euch gekommen?«
»Nun ja, wie man es nimmt.« Charles Templeton blickte ihn über seinen Zwicker hinweg vielsagend an. »In den vergangenen Tagen habe ich beobachtet, wie dreimal eine junge Frau eiligen Schrittes auf meine Buchhandlung zukam. Einmal stand sie sogar schon halb in der Tür, um es sich dann doch plötzlich wieder anders zu überlegen und recht überstürzt davonzueilen.«
»Und woher wisst Ihr, dass es Miss Sullivan war?«, fragte Patrick ein wenig enttäuscht.
Der Buchhändler lächelte rätselhaft. »Das habe ich selbst in Erfahrung gebracht.«
Patrick sah ihn verwirrt an. Die Geschichte wurde immer rätselhafter.
»Darf ich fragen, wie Ihr das in Erfahrung gebracht habt?«
»Nun, ich habe mich daran erinnert, dass Euch an dieser jungen Frau sehr viel liegt, wenn ich das einmal so salopp ausdrücken darf, und dass Ihr sehr daran interessiert wart, den Kontakt mit ihr nicht zu verlieren … oder besser gesagt, ihn wieder aufzunehmen.«
»In der Tat!« Patrick nickte und wartete ungeduldig, dass Mister Templeton mit seiner Erklärung fortfuhr.
»Deshalb habe ich mich, als sie am letzten Freitag spätnachmittags wieder einmal eine geraume Zeit vor meinem Geschäft stand und schließlich unverrichteter Dinge davoneilte, entschlossen, ein paar Nachforschungen anzustellen. Ich heftete mich an ihre Fersen und folgte ihr. Und so habe ich herausfinden können, wo sie wohnt und dass es sich bei ihr tatsächlich um Miss Éanna Sullivan handelt«, berichtete Charles Templeton stolz.
Es hätte nicht viel gefehlt und Patrick hätte den Buchhändler vor Begeisterung umarmt. »Mein Gott, Ihr wisst gar nicht, welche Freude Ihr mir mit dieser Nachricht macht!«
Charles Templeton drehte den hellen Sommerhut in seinen Händen ein wenig verlegen hin und her, das Lächeln war augenblicklich aus seinem Gesicht verschwunden. »Nun ja, ich fürchte nur, Euch mit meiner Nachricht keine wirkliche Freude machen zu können. Denn Miss Sullivan scheint es ausgesprochen schlecht zu gehen: Als ich in dem Haus, zu dem ich ihr gefolgt war, diskret bei einer freundlichen älteren Dame Erkundigungen einholte, erfuhr ich, dass Miss Sullivan bis vor zwei Wochen in der Cross Street wohnte, wo sie bei diesem entsetzlichen Häuserbrand alles verloren haben soll, was sie besaß. Nun scheint sie ganz offensichtlich nur mit Mühe verhindern zu können, dass sie auf der Straße landet.«
Bestürzt hörte Patrick von dem Schicksalsschlag, der Éanna getroffen hatte, während er selbst auf dem Anwesen der Sloanes im Luxus schwelgte.
»Sagt mir schnell, wo ich sie finden kann!«
»In der Mulberry Street.« Charles Templeton reichte ihm einen Zettel, auf den er Éannas Adresse notiert hatte. »Aber erschreckt nicht. Bei dieser Mietskaserne handelt es sich um ein sogenanntes Wabennest.«
Patrick blickte ihn verständnislos an.
»Nun, so heißen die Häuser hier in New York, in denen skrupellose Vermieter alle Wohnungen durch dünne Trennwände in kleine Räume unterteilt haben, die sie einzeln vermieten und für die jede Nacht im Voraus bezahlt wird. Nicht wenige Familien müssen sich zu sechst, siebt oder acht solch einen engen Verschlag teilen, weil ihnen das Geld für mehr Wohnraum fehlt«, erklärte der Buchhändler. »Auch Miss Sullivan teilt sich solch einen kleinen Raum mit mehreren Personen, wie ich erfahren habe.«
Die Nachrichten von Éanna erschütterten Patrick sehr. Nachdem er sich von Charles Templeton mit dem Versprechen verabschiedet hatte, bald wieder in seiner Buchhandlung vorbeizusehen, begann er,
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