Eanna - Stürmische See - Éanna ; [2]
Ernst sein!«
»Ist es aber! Ich will irgendwann raus aus diesem Elend und genau wie du und Brendan nach Amerika! Aber glaubst du im Ernst, dass ich bei dem lächerlichen Lohn, der in der Spinnerei für diese Plackerei gezahlt wird, jemals diese sechs, sieben Pfund zusammenkratzen kann, die ich für die Überfahrt brauche?« Sie strich sich das Haar aus der Stirn. »Darüber können doch endlose Jahre vergehen und ich glaube nicht, dass ich das so lange an den Maschinen aushalte. Du weißt doch selbst, wie es da zugeht und wie schnell die Paddington die Frauen wieder auf die Straße setzt, wenn sie krank werden oder das Tempo nicht mehr halten können.«
Éanna seufzte schwer. Wie recht Emily doch hatte. Sie wünschte, sie hätte ihrer Freundin etwas Tröstliches sagen können. Aber wie sie es auch drehte und wendete, da gab es nichts, was sich beschönigen ließ. Denn auch Emily würde mehrere Jahre lang unglaublich hart schuften müssen, um irgendwann auswandern zu können. Und in dieser Zeit durfte sie auf keinen Fall krank werden.
»Bei euch beiden liegen die Dinge zum Glück etwas anders«, sagte Emily. »Denn wenn Brendan seine Arbeitsstelle im Hafen behält und du als Tugger weiterhin so gut bist, dann bekommt ihr beide das Geld sehr viel schneller zusammen. Ich gönne euch das von Herzen, aber für mich sieht es sehr viel düsterer aus!«
Éanna musste daran denken, was Emily in jener Nacht gesagt hatte, als sie sich zum ersten Mal getroffen hatten. Damals, als sie auf der Straße gelebt und sich ein dürftiges Essen geteilt hatten, während neben ihnen dieses fremde Mädchen starb, dessen Namen sie noch nicht einmal kannten.
Emily sah sie an und erriet, was Éanna in diesem Moment beschäftigte.
»Ja, ich stehe immer noch zu dem, was ich einmal gesagt habe«, bekräftigte sie. »Ich will nach Amerika – und zwar um jeden Preis! Auch wenn das heißt, dass ich den Weg einschlagen muss, den Caitlin und so viele andere vor mir gewählt haben!«
»Und das könntest du wirklich, dich an wildfremde Männer zu verkaufen?«, fragte Éanna beklommen und schauderte bei der Vorstellung.
»Warum nicht? Natürlich ist es eine dreckige und widerwärtige Arbeit und bestimmt würde ich mich ekeln. Aber wenigstens wird eine Dirne gut bezahlt«, erwiderte Emily mit bestürzender Sachlichkeit. »Und wie sonst soll ein Mädchen wie ich aus diesem Elend herauskommen? Oder hast du vielleicht eine bessere Idee?«
»Nein«, gestand Éanna niedergeschlagen.
»Wir beide mögen Caitlin nicht besonders. Aber einen miesen Charakter zu haben, heißt nicht, auf den Kopf gefallen zu sein. Und ich bin überzeugt, dass es auch unter Dirnen genug anständige Menschen gibt – wie es auch unter den scheinbar so ehrbaren Bürgern jede Menge Lumpen und Schinder gibt, die um ihres Profites willen skrupellos über Leichen gehen!« Sie drehte sich entschlossen um, wie um deutlich zu machen, dass das Thema für sie beendet war. »Und jetzt lass uns schlafen!«
Éanna konnte lange nicht in den Schlaf finden. Unruhig drehte sie sich von einer Seite auf die andere. Und als der Schlaf dann doch endlich kam, verfolgte Caitlin sie sogar in ihren Träumen. Da war sie es, die ihr Patricks Spitzentaschentuch aus den Händen riss und damit triumphierend zu Brendan ins Waschhaus lief.
Der Februar brachte eisige Tage und Nächte und auch im März schien das Wetter sich immer noch nicht entscheiden zu können, ob es dem gequälten Land und seinen Notleidenden endlich etwas mildere Temperaturen schenken sollte. Zum Glück blieben jedoch heftige Schneefälle aus. Éanna war dankbar dafür, denn so musste sie sich auf ihren langen Wegstrecken nicht auch noch durch Schneewehen kämpfen. Ihre Arbeit war auch so schon beschwerlich genug.
Aber das, was sie abends bei Ebenezer Lahiffe ablieferte, lohnte die Mühsal. Nicht ein einziges Mal lag der Wert der erbettelten Sachen unter einem Shilling. Meist konnte ihr der Händler gute anderthalb Shilling auszahlen und nach einigen besonders ertragreichen Fahrten auf der Straße nach Dun Laoghaire waren es sogar über zwei Shilling. Es erfüllte sie mit Stolz, dass sie damit fast so viel verdiente wie Brendan. Und noch mehr freute sie, dass sie viel mehr davon sparen konnte, als sie es jemals geglaubt hätte.
Mehr als einmal auf ihren langen Wegstrecken, an denen sie an den Elendsfiguren und Bettlern vorbeikam, die die Straßen nach wie vor bevölkerten, dachte sie an ihre quälenden Zweifel, überhaupt nach
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