Eanna - Stürmische See - Éanna ; [2]
O’Brien weiß ja, dass du hier im Zwischendeck bist. Bestimmt wird er nach dir Ausschau halten. Dann wird er dir schon erzählen, warum er an Bord ist. Und es würde mich nicht überraschen, wenn es sehr wohl mit dir und diesem leidenschaftlichen Kuss zu tun hat, den er dir am Sonntag gegeben hat.«
Bei diesen Worten schoss Éanna die Röte ins Gesicht und gleichzeitig fühlte sie ein Ziehen in der Brust, das ihr das Herz schwer machte. Hatte Patrick O’Brien nicht schon genug angerichtet?
Andererseits: Was konnte Patrick für Brendans bodenlose Eifersucht? Er hatte nichts Unrechtes getan – bis auf diesen einzigen Kuss. Und sie wusste nur zu genau, dass ein Wort, ein Blick von ihr genügt hätte, ihn daran zu hindern.
Emily lachte, als sie die Verlegenheit der Freundin sah. »Du brauchst doch deshalb nicht gleich rot zu werden!«, neckte sie. »Ich an deiner Stelle würde es mir zehnmal überlegen, ob ich dem Werben eines Mannes wie Mister O’Brien viel Widerstand entgegensetzen würde. Zumal seine Gefühle für dich offenbar ehrlich sind. Nicht einmal den Anflug eines Versuchs hat er unternommen, dich zu verführen.«
Éanna setzte zu einer Erwiderung an, doch Emily kam ihr zuvor. »Ich weiß, ich weiß, du liebst nicht ihn, sondern deinen verbohrten und hitzköpfigen Brendan. Der dich nicht nur geohrfeigt, sondern sich zu allem Übel auch noch mit Caitlin eingelassen hat. Und das wirft nicht gerade ein gutes Licht auf ihn, wenn du mir diese Bemerkung erlaubst.«
Im Stillen gab Éanna ihr recht. Dennoch nahm sie Brendan vor ihrer Freundin in Schutz. »Er hat es ja nur getan, weil er sich … nun ja, an mir rächen wollte. Anders kann ich es mir nicht erklären. Sonst hätte es ihn doch nie zu einer wie ihr getrieben!«, verteidigte sie ihn.
»Ach, und das entschuldigt alles?« Emily zog die Augenbraue hoch. »So schnell würde ich es ihm nicht verzeihen, dass er sich sofort in die Arme dieser Dirne geworfen hat! Deshalb gebe ich dir auch den guten Rat, ihm jetzt bloß nicht nachzulaufen! Lass ihn ruhig eine Zeit lang in Ruhe und tu so, als ob er dir gleichgültig geworden wäre. Auf See wird er schon einen klaren Kopf bekommen und sicher bald bereuen, was er getan hat. Verlass dich drauf.«
»Dein Wort in Gottes Ohr!«, seufzte Éanna.
»Und um dieses durchtriebene Biest Caitlin brauchst du dir keine Gedanken zu machen«, versicherte Emily. »Wenn Brendan wirklich der Mann ist, für den du ihn hältst, dann wird es nicht allein bei getrennten Kojen bleiben, sondern dann wird er schon bald nichts mehr mit ihr zu schaffen haben wollen. Falls aber nicht, dann ist er deiner Liebe nicht wert! Und dann tust du besser daran, ihn so schnell wie möglich zu vergessen – und dich an Mister O’Brien zu halten.«
Éanna musste Emily hoch und heilig versprechen, sich ihren Rat zu Herzen zu nehmen. Sie sah ja ein, dass sie sich nur lächerlich machte, wenn sie Brendan nachlief und ihn weiter anbettelte, ihr zuzuhören. Doch leider fiel es ihr trotz allem nicht leicht, ihrem Geliebten fernzubleiben.
Schon in den wenigen Stunden, die Éanna und Emily auf dem Schiff verbracht hatten, war die Luft im Zwischendeck von einer Vielzahl unangenehmer Gerüche erfüllt. Es gab kein einziges Bullauge. Frische Luft und Licht konnten allein durch die Luke des Niedergangs in das Massenquartier eindringen. Doch die Auswanderer machten sich wenig Gedanken darüber, wie es schon nach wenigen Tagen unter solchen Bedingungen im Zwischendeck auszuhalten sein würde, denn keiner konnte erwarten, dass es endlich losging.
Als der Gezeitenwechsel am späten Nachmittag einsetzte, erschallte an Deck schließlich das Kommando, die Leinen der Metoka loszuwerfen. Und erst jetzt gaben die beiden Wache stehenden Seeleute, die bis zum Ablegen der Bark niemanden heraufgelassen hatten, die Ausstiegsluke frei. Augenblicklich setzte ein Massenansturm auf den einzigen Zugang nach oben ein.
Éanna und Emily kämpften sich in dem Gedränge langsam zur Luke vor. Denn auch sie wollten einen letzten Blick auf ihre Heimat werfen, die sie höchstwahrscheinlich nie wiedersehen würden. Als sie das Hauptdeck erreichten, wimmelte es dort schon von Mitreisenden. Das Vorschiff, von wo aus man den besten Rundblick hatte, war längst belegt. Aber immerhin gelang es ihnen, eine freie Stelle an der Steuerbordreling zu finden.
Unter der Führung eines Lotsen, der dem Steuermann am mächtigen Speichenrund des doppelseitigen Ruders knappe Befehle für den Kurs
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