Eanna - Stürmische See - Éanna ; [2]
gegangen wären, mir die Kehle durchzuschneiden oder Ähnliches zu tun, kann ich nicht sagen. Obwohl dem einen oder anderen aus ihrer Gruppe dieser Gedanke vielleicht tatsächlich gekommen sein mag, aus Angst, ich könne ihren irrsinnigen Plan verraten.«
»Aber was war das denn für ein Plan? Oder ist das besser nicht für meine Ohren bestimmt?«
Ein sehnsüchtiges Lächeln trat auf sein Gesicht. »Dir würde ich nicht nur mein Herz, sondern auch mein Leben anvertrauen, Éanna«, sagte er leise, doch dann riss er sich sichtlich zusammen. »Warum solltest du nicht wissen, was diese Hohlköpfe sich ausgedacht haben, um den Engländern ihren Mut zur Rebellion zu beweisen? Ihnen ist nichts Dümmeres eingefallen, als sich einige Fässer Schießpulver zu besorgen, um irgendwann die Nelsonsäule auf der Sackville Street in die Luft zu jagen!«
»Was Ihr ihnen selbst vorgeschlagen habt«, erinnerte sie ihn.
Patrick verzog das Gesicht. »Ja, ich weiß. Aber hätte ich denn wissen können, dass diese Narren meine spöttische Bemerkung für bare Münze nehmen würden? Lovett und die anderen wussten doch, wie ich zu Gewalt stehe! Mehr als einmal habe ich ihnen deutlich zu verstehen gegeben, dass ein Aufstand zu noch mehr Gegengewalt und Repressalien vonseiten der Engländer führt. Das hat uns unsere leidvolle Geschichte ja wohl zur Genüge gelehrt. Wir Iren werden die britische Besatzungsmacht nie mit Waffen vertreiben können! Wenn Irland eines Tages seine Freiheit gewinnen will, dann ist dieses Ziel nur auf dem mühseligen Weg friedlicher Verhandlungen zu erreichen. Aber diese Einsicht sucht man bei Leuten wie Lovett Delaney, Cecil McGraw und vielen anderen leider vergeblich.«
»Und was hat Euer Onkel dazu gesagt, dass Ihr Euch so plötzlich zu dieser Überfahrt nach New York entschlossen habt?«, wollte Éanna wissen.
»Getobt hat er! So wütend habe ich ihn noch nie erlebt. Von ihm darf ich nun nichts mehr erwarten, nicht einmal einen ganz bescheidenen Erbanteil. Nicht dass es mir jemals darum gegangen wäre. Mir ist es nicht leichtgefallen, ihm meinen Entschluss mitzuteilen. Und ich wünschte, ich hätte ihn nicht so bitter enttäuschen müssen«, sagte er bedrückt. »Aber es war an der Zeit, ihm endlich die Illusion zu nehmen. Ich muss mein Leben nach meinen Bedingungen und gemäß meiner eigenen Neigungen und Ziele leben. Und dazu gehört nun mal, dass ich Irland für eine Weile hinter mir lasse.«
»Aber wieso?«, fragte sie verwundert. »Ihr könnt doch auch in Irland ein Leben als Schriftsteller führen.«
Patrick schüttelte den Kopf. »Das mag für jene begabten Autoren möglich sein, die aus sich selbst schöpfen können wie aus einem sprudelnden Quell. Ich dagegen gehöre mehr zu der Sorte Schreiberlinge, deren Kreativität erst durch äußere Einflüsse erwacht«, sagte er mit einer Mischung aus Spott und Selbstkritik. »Und ich glaube nicht, in Irland derzeit solche Anstöße zu finden. Die Neue Welt scheint mir vielversprechender zu sein. Das britische Empire ist trotz seiner Macht innerlich erstarrt und es reizt mich keineswegs, diese Erstarrung schreibend zu erkunden. Zudem es viel Fähigere als mich für diese Aufgabe gibt.« Nachdenklich blickte er über die stürmische See bis zum fernen Horizont. »Amerika dagegen ist ein Land, das in die Zukunft schaut. Die Geschwindigkeit, mit der sich dort Neues entwickelt, und die Bravour, mit der die Menschen sich dort den gewaltigen Aufgaben dieses großen Landes stellen, faszinieren mich. Ich kann es kaum erwarten, dort eigene Erfahrungen zu sammeln.«
»Vielleicht sammelt Ihr ja schon vorher genug Erfahrungen für ein neues Buch. Dafür braucht Ihr lediglich zu uns ins Zwischendeck umzusiedeln!«, schlug Éanna ihm vor und ihre Stimme klang plötzlich bissig. »Da werdet Ihr sicherlich genug finden, was sich des Aufschreibens lohnt.«
Beschämt senkte Patrick den Blick. »Ist es so schlimm?«
»Schlimmer, als Ihr es Euch vermutlich vorstellen könnt!«, versicherte sie und lachte bitter auf. »Aber wer will denn so etwas schon lesen?«
Er nahm das Stichwort auf, bot es ihm doch Gelegenheit, zu dem zurückzukehren, was ihn beschäftigte. »Das ist auch einer der Gründe, der mich zu dieser Reise nach Amerika bewogen hat. Denn für mein Manuskript werde ich weder in Dublin noch in England einen Verlag finden. Keiner lässt sich gern den Spiegel vorhalten. Aber dem amerikanischen Volk ist die irische Hungersnot nicht gleichgültig. Sonst hätte es
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