EB1021____Creepers - David Morell
rhythmisch.
Schön, aber traurig. »Moment mal«, sagte Cora. »Was ist das?«
Das Verhängnis, dachte Balenger. Durch die Lücken in dem
Glasdach trug der Wind das ferne deng deng deng der Metall‐
platte herüber, die von dem verlassenen Wohnblock baumelte.
Aber es konnte den von unten heraufdringenden Klang nicht
übertönen.
Lyrisch. Und entsetzlich vertraut; Worte drängten sich in
sein Gedächtnis.
Wider than a…
Crossing you in…
In dem dunklen Abgrund unter ihnen pfiff jemand »Moon
River«.
27
»Herrgott.«
Cora fuhr von der Brüstung der Galerie zurück. Die ande‐
ren folgten ihrem Beispiel. Das Pfeifen ging weiter; der Wider‐
hall drang durch die Dunkelheit zu ihnen hoch. Die Melodie
beschwor Erinnerungen an Träume und gebrochene Herzen
und die Sehnsucht danach herauf, das Vergangene hinter sich
zu lassen. Stimmt genau, dachte Balenger. Ich würde einiges
dafür geben, das hier hinter mir zu lassen. »Wer?«, flüsterte
Rick.
»Ein Sicherheitsmann?« Auch Vinnie hielt die Stimme ge‐
senkt.
»Die Polizei?« Cora schaltete sowohl ihre Stirnlampe als
auch die Taschenlampe aus. So viel Glück müssten wir haben,
dachte Balenger. Vinnie und Rick knipsten ihre Lichter eben‐
falls aus, Cora das Licht des Professors. Als die Dunkelheit
ringsum tiefer wurde, lieferten Balengers Stirnlampe und Ta‐
schenlampe die einzige Beleuchtung.
»Mach das Licht aus«, flüsterte Rick hektisch. »Vielleicht
weiß der da unten nicht, dass wir da sind. Wer es auch ist.«
Aber Balenger ließ es an. Im normalen Gesprächston klang
seine Stimme laut verglichen mit dem Flüstern der anderen.
»Ein Polizist würde nicht pfeifend da unten im Dunkeln
rumspazieren. Und wer das auch immer ist, er weiß mit Si‐
cherheit, dass wir hier sind. Das ist die Melodie, die du vorhin
auf dem Klavier gespielt hast.«
»Oh.« Ricks Stimme wurde vor Unbehagen noch leiser.
»Wer also?«, fragte der Professor. Auch seine Stimme war lei‐
se; bei ihm war es die Schwäche. »Ihr alle, wechselt die Batte‐
rien in euren Taschenlampen aus. Die Stirnlampen halten eine
ganze Weile, aber die Taschenlampen werden schon dunkler.
Wir müssen vorbereitet sein.«
»Auf was?«
»Tut einfach, was ich euch sage.« Im Strahl seiner Lampe,
der bereits gelblich statt weiß war, holte Balenger neue Batte‐
rien aus dem Rucksack; dann schraubte er das Ende der Ta‐
schenlampe ab und wechselte die Batterien aus. Der Licht‐
schein wurde wieder heller. Er machte eine Bewegung, als
wollte er die alten Batterien in eine Ecke werfen.
»Nein.« Die Stimme des Professors klang matt. »Wir lassen
keinen Abfall zurück.«
Mit einem ungeduldigen Seufzer schob Balenger die alten
Batterien wieder in den Rucksack.
Das Pfeifen unten verklang. Jetzt war nur noch das Krei‐
schen des Windes durch die Lücken in dem Glasdach zu hören
und das ferne deng deng deng der Metallplatte. Wer das auch
immer ist da unten, er weiß, dass wir da sind, und hat dafür
gesorgt, dass wir es erfahren, dachte Balenger. Es würde
merkwürdig aussehen, wenn wir nicht reagieren. Finden wir
doch raus, mit wem wir es zu tun haben.
»Hey!«, brüllte er nach unten. Das Echo seiner Stimme ver‐
klang in der Stille. »Wir arbeiten für die Jersey City Salvage,
die Firma, die dieses Gebäude nächste Woche ausräumen
wird!«, brüllte Balenger. »Wir haben einen Wachmann dabei!
Und wir haben jedes Recht, hier zu sein, was mehr ist, als man
von euch sagen kann! Wir geben euch eine Gelegenheit zu
verschwinden, bevor wir die Polizei rufen!«
Wieder verklang das Echo im Schweigen. »Okay, ihr habt
euch offenbar entschieden!« Eine Männerstimme schrie von
unten herauf: »Nachtschicht oder was?«
»Wir arbeiten, wenn der Boss sagt, dass wir arbeiten! Tag
oder Nacht, macht keinen Unterschied! Hier drin ist es sowie‐
so immer dunkel!«
»Muss schön sein, den Überstundenzuschlag zu kriegen!«
Nur eine einzelne Stimme. Balenger war ermutigt. »Hey, ich
hab keine Lust auf eine Unterhaltung! Ich sage euch, dass ihr
verschwinden sollt! Dieses Gebäude ist gefährlich!«
»Ja, das haben wir gemerkt bei dem, was da mit der Treppe
passiert ist! Verschwinden? Nee, uns gefällt’s hier! Man könn‐
te sogar sagen, wir sind im Dunkeln zu Hause!«
Wir?, dachte Balenger.
»Genau!«, sagte eine zweite Stimme. »Wir mögen das!«
»Und was war das für ein Gebrüll gerade eben?«, schrie die
erste Stimme. »Hat sich
Weitere Kostenlose Bücher