EB1021____Creepers - David Morell
behandeln. Man
darf sie ansehen. Man darf sie in die Hand nehmen. Man darf
sie in einem Münzengeschäft kaufen oder verkaufen. Aber
man darf keine Tankfüllung damit bezahlen.«
»Heutzutage würde der offizielle Wert einer Zwanzigdol‐
largoldmünze auch kaum für eine Tankfüllung ausreichen«,
bemerkte Balenger. Halt die Unterhaltung am Laufen, dachte
er.
»Und was ist mit dem Gangster?« Todd befingerte das
Rohrstück, das er im Gürtel stecken hatte. »Carmine Danata
war ein Gangster in den wilden Zwanzigern«, sagte Balenger.
»Eines seiner Markenzeichen war, seinen Lieblingshuren
Goldmünzen zu geben. Als die Depression da war, war er sich
sicher, dass die Regierung mit der Konfiszierung der goldenen
Münzen und Barren die Bevölkerung betrog. Also hat er seine
Münzen nie hergegeben. Stattdessen hat er angefangen, sie zu
horten. Irgendwann hatte er so viele Verstecke, dass er den
Überblick verloren hat. Und das war der Zeitpunkt, zu dem er
den Tresorraum in seine Suite einbauen ließ. Im Jahr 1935.«
»Willst du damit sagen, die Goldmünzen sind immer noch
da drin?« Macks Augen leuchteten. »Danata ist 1940 bei einer
Bandenschießerei in Brooklyn umgekommen«, antwortete Ba‐
lenger. »Die Suite wurde nur an ihn vermietet. Er hat das gan‐
ze Jahr über für sie bezahlt. So eine Art privates Refugium.
Nach seinem Tod hat der Besitzer des Hotels –«
»Carlisle. Wir haben gehört, wie ihr über ihn geredet habt.
Ein Knallkopf mit mehr Geld, als er verdient hat.«
»Er hat die Suite nie an jemand anderen vermietet«, sagte
Balenger. »Von 1940 bis 1968, als das Hotel geschlossen wur‐
de, blieb sie unbewohnt. Carlisle hatte eine Vorliebe dafür,
Leute zu beobachten, sein Leben durch ihre Leben zu leben.
Der Professor hegt die Vermutung, dass Carlisle die Suite so
erhalten hat, wie sie war, als Danata noch am Leben war. Seine
Theorie ist, dass Carlisle der Gedanke Spaß gemacht haben
muss, diesen geheimen Goldvorrat im Tresor zu haben und
die Münzen anzusehen, wenn dies sonst niemand konnte. Sie
sollen wunderschön sein – ein aufsteigender Adler auf einer
Seite, die Freiheitsstatue mit der Fackel auf der anderen.«
»Der kranke Spinner hat nie auch nur probiert, sie aus dem
Land zu schmuggeln und zu Geld zu machen?«, fragte Mack.
»Er hatte Agoraphobie. Er hatte Angst, das Hotel zu verlassen.
Ein anderes Land wäre für ihn gewesen wie ein anderer Pla‐
net. Warum hätte er versuchen sollen, die Münzen zu Geld zu
machen, das er sowieso nicht brauchte, wenn er das Vergnü‐
gen hatte, mehr Goldmünzen zu besitzen, als irgendein Bürger
seit dem Jahr 1934 auch nur zu sehen bekommen hatte? Heute
Nacht haben wir uns ein paar von den Zimmern angesehen
und dabei entdeckt, dass Carlisle anscheinend besessen war
von der Idee, die Zimmer genau so zu erhalten, wie sie aussa‐
hen, als der letzte Bewohner abgereist ist. Vielleicht hat er da‐
mit ja schon 1940 angefangen, als Danata erschossen wurde.«
»Was ist Gold heutzutage denn wert?«
»Über vierhundert Dollar die Unze.«
»Dann könnten wir die Münzen also einschmelzen und –«
»Da würdet ihr draufzahlen. Ein Double Eagle, weniger als
eine Unze Gold, ist auf dem Sammlermarkt fast siebenhundert
Dollar wert.«
»Herrgott.«
»Aber jetzt hört euch das an«, fuhr Balenger fort. »Der
Double Eagle von 1933 wurde unmittelbar vor dem Zeitpunkt
geprägt, zu dem die Regierung den Goldstandard aufgegeben
hat. Bevor die Münzen ausgegeben werden konnten, wurden
sie für illegal erklärt und mussten vernichtet werden. Die mei‐
sten davon jedenfalls. Ein paar wurden gestohlen. Vor kurzem
hat die Regierung eine der gestohlenen Münzen wiedergefun‐
den und sie bei Sotheby’s versteigern lassen. Die Versteige‐
rungssumme betrug fast sieben Millionen Dollar.«
»Sieben…?«
»Millionen Dollar. Es heißt, Danata hätte fünf von den
Münzen in seinen Besitz gebracht.« Todds Augen spiegelten
das Licht der Stirnlampen wider. »Kann’s kaum abwarten, den
Tresor zu sehen.«
32
»Hilf mir mit dem Professor«, sagte Balenger zu Vinnie. Vinnie
starrte ihn an – er war wütend, weil Balenger gelogen hatte.
Aber die Bedrohung und seine Zuneigung zu dem Professor
veranlassten ihn, näher zu kommen. Sie merkten rasch, wie
sehr die zusammengeklebten Handgelenke sie behinderten.
Nach mehreren Versuchen stellten sie fest, dass sie den Profes‐
sor nur auf die Füße hieven konnten,
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