EB1021____Creepers - David Morell
indem sie die Hände un‐
ter seine Arme schoben. Seine Hände waren ebenfalls zusam‐
mengeklebt, er konnte ihnen also nicht dabei helfen. Sie brach‐
ten ihn mit Mühe auf die Beine. Conklin stöhnte, schaffte es
aber, auf dem unverletzten Bein zu stehen.
»Wie schlecht fühlen Sie sich?«, fragte Balenger. »Ich bin
noch am Leben.« Der Professor atmete tief ein. »Hey, unter
den gegebenen Umständen werde ich mich kaum beschwe‐
ren.«
»Stimmt das?«, wollte Vinnie wissen. »Sie und der Typ da
wollten die Goldmünzen nehmen?«
»Ich bin nicht vollkommen«, sagte Conklin. »Das ist etwas,
worüber ihr euch bei euren Lehrern klar sein solltet. Aber als
ich gehört habe, wie ihr das mit dem Gold Reserve Act von
1934 erklärt habt… Saint‐Gaudens, Vinnie. Du hast dich allen
Ernstes an Saint‐Gaudens erinnert.«
»Und Sie wollten das Geld aufteilen? Nur Sie beide?« Der
ältere Mann sah beschämt aus. »Hättet ihr euch darauf einge‐
lassen? Die ganze Zeit sind wir immer dabei geblieben, Fotos
mitzunehmen und sonst nichts. Jetzt hätten wir nicht einfach
nur diese Regel gebrochen. Wir hätten ein ernst zu nehmendes
Verbrechen begangen. Hättet ihr riskiert, den Rest eures Le‐
bens im Gefängnis zu verbringen, oder wärt ihr zur Polizei
gegangen?«
»Aber Sie waren willens, eine Gefängnisstrafe in Kauf zu
nehmen.«
»Im Augenblick habe ich nicht viel zu verlieren.« Mack und
JD schoben die Ausrüstungsgegenstände in die Rucksäcke; sie
stopften sie so voll, dass sie nur drei statt fünf Rucksäcke
brauchten. Die Flaschen mit dem Urin waren alles, was zu‐
rückblieb. Mack schob sich die Wasserpistole in den Gürtel.
»Ist eine Weile her, seit ich ein Spielzeug hatte.« Er griff nach
einem der Rucksäcke; JD nahm den zweiten, Todd den dritten.
Die Nachtsichtbrillen hatten sie um den Hals gehängt.
»So funktioniert das«, sagte Todd, während er die Gurte des
Rucksacks mit einer Hand einstellte, Balengers Pistole in der
anderen. »Ich gehe als Erster die Treppe rauf, und zwar rück‐
wärts, und ziele dabei auf euch. Mack und JD kommen hinter
euch her, aber sie halten Abstand. So könnt ihr sie nämlich
nicht anrempeln und die Treppe runterstoßen. Wenn ihr ir‐
gendwas probiert, werfen sich Mack und JD flach auf die Stu‐
fen. Dann schieße ich. Ist mir egal, was irgendeiner von euch
über den Tresor weiß – wenn ihr uns bescheißt, dann erschieße
ich euch zuerst und pisse hinterher auf eure Kadaver dafür,
dass ihr mich geärgert habt.«
Todd verließ die Galerie, nahm die Tür am Ende des Flurs,
erreichte die Nottreppe und begann, sie rückwärts hinaufzu‐
steigen. Balenger und Vinnie kamen als Nächste, wobei sie
ungeschickt versuchten, dem Professor zu helfen, die zusam‐
mengeklebten Hände unter seinen Achseln; ihre Stirnlampen
schwankten wild. Rick und Cora folgten, danach Mack und
JD. Die Schritte klangen laut in dem engen Schacht. »Jetzt, wo
du weißt, dass ich kein Reporter bin«, sagte Balenger zu Vin‐
nie, während sie den Professor die Stufen hinauf manövrier‐
ten, »hätte ich eine Frage.«
»Nämlich?«
»Du hast von dem Komponisten geredet, der ›On the Banks
of the Wabash‹ und ›My Gal Sal‹ geschrieben hat. Du hast ge‐
sagt, er wäre Theodore Dreisers Bruder gewesen, als wäre das
was Besonderes. Wer, zum Teufel, war Theodore Dreiser?«
»Er hat Schwester Carrie geschrieben.«
» Schwester wer?« Weiterreden, dachte Balenger. Wir müssen
eine Verbindung mit ihnen herstellen. »Es war einer der ersten
amerikanischen Romane mit Biss.« Vinnie schien zu begreifen,
was Balenger zu erreichen versuchte. »Spielt in den Slums von
Chicago. Es geht um eine Frau, die mit allen möglichen Typen
schläft, um zu überleben.«
»Hört sich an wie aus dem richtigen Leben«, sagte Mack aus
der Dunkelheit weiter unten.
Vinnie sprach weiter. »Das Thema ist ein pessimistischer
Determinismus. Ganz gleich, was wir tun, unsere Körper und
unsere Umgebung sind unser Verhängnis.«
»Ja, ganz entschieden das wahre Leben«, sagte Mack. Es
funktioniert, dachte Balenger. Im Weitersteigen spürte er den
Professor zusammenzucken. »Der Roman ist 1900 erschienen,
ein Jahr, bevor das Hotel gebaut wurde«, fuhr Vinnie fort.
»Davor ist es in amerikanischen Romanen oft darum gegan‐
gen, wie man mit ehrlicher Arbeit Erfolg hat. William Dean
Howells hat es die freundlicheren Seiten des amerikanischen
Lebens
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