EB1021____Creepers - David Morell
in seinen El‐
lenbogen und Schultern; er fürchtete, er würde sie ausrenken,
aber er tastete höher, bis er die gläserne Ecke des Tischs spü‐
ren konnte. Nur noch ein bisschen höher, dachte er. Seine El‐
lenbogen und Handgelenke schmerzten höllisch, als er über
die Tischkante griff und aufschluchzte vor Erleichterung, als
seine Handschuhe die Kerze berührten. Er zog sie aus ihrer
Verankerung und manövrierte sie über die Tischkante. Er
spürte, wie Wachs auf seine Windjacke tropfte. Er hielt die
Kerze waagerecht und klemmte sich das untere Ende zwi‐
schen die Beine. Seine Oberschenkel schlossen sich fest um sie.
Durch den Stoff des Kissenbezugs hindurch konnte Balenger
genug von der Flamme sehen, um seine zusammengeklebten
Handgelenke darüber halten zu können. Er spürte die Hitze
durch die Handschuhe und Ärmel hindurch. Klebeband
brennt nicht; es schmilzt. Er stellte sich vor, wie es zusammen‐
schmolz und Blasen warf, während er sich darauf konzentrier‐
te, die Handgelenke auseinander zu zerren. Die Hitze wurde
intensiver. Unter Schmerzen spürte er, wie das Band weicher
und lockerer wurde.
Urplötzlich riss es auseinander. Er hob die Hände, weg von
der Flamme, und drehte sie gegeneinander, um das restliche
Band loszuwerden.
Ihm war schwindlig von dem angesammelten Kohlendio‐
xid, als er sich den schweißgetränkten Kissenbezug vom Kopf
zerrte und gierig einatmete. Es war eine Erlösung, beide Hän‐
de verwenden zu können. Er griff nach der Kerze und zog die
Flamme an der linken Schulter entlang, um das Band zu
schmelzen, das ihn über der Brust an den Stuhl fesselte. Seine
Windjacke fing Feuer. Die Hitze drang sofort durch. Er wech‐
selte die Kerze in die linke Hand und verwendete die behand‐
schuhte Rechte, um die Flammen auf seiner Brust auszuschla‐
gen.
Vom Gestank des geschmolzenen Klebebandes musste er
würgen, aber er unterdrückte den Reflex und zerrte an dem
geschmolzenen Band, um die Schultern frei zu bekommen.
Dann beugte er sich hektisch vor und versengte das Band, das
seine Fußknöchel am Stuhl fixierte. Er kam taumelnd auf die
Füße. Während er angespannt auf weitere Geräusche von der
Treppe her lauschte, griff er nach unten, um eine Scherbe auf‐
zuheben, nur um gleich darauf ein Messer unter den übrigen
Ausrüstungsgegenständen zu bemerken, die jemand aus ei‐
nem Rucksack ausgeleert hatte. Na klar, dachte er; sie hatten
mehr Messer, als sie brauchten. Irgendwer hatte Platz für wei‐
tere Münzen schaffen wollen. Schritte hallten aus dem Trep‐
penschacht herauf. Balenger stürzte zu Vinnie und schlitzte
das Band an dessen Schultern, Handgelenken und Knöcheln
auseinander. Er hörte wieder Schritte, weiter oben dieses Mal.
Vinnie hob eine Glasscherbe vom Boden auf und rannte zu
Cora; Balenger lief zu Amanda. Die beiden Männer hackten
auf das Band ein, um die Frauen zu befreien. Ein Blitz krachte.
In der kurzen Ruhepause danach hörten sie die Schritte näher
kommen. Langsam und gleichmäßig; Balenger dachte dabei an
jemanden, der mit großer Sorgfalt ging, weil er unter Alkohol
oder Drogen stand. Oder vielleicht war es auch jemand, der
sich des Endspiels so sicher war, dass er sich nicht zu beeilen
brauchte.
Cora und Amanda befreiten sich von den letzten Bandfet‐
zen und sprangen von den Stühlen auf. Balenger bemerkte
den Hammer, den Todd auf einen Haufen Gerätschaften ge‐
legt hatte. Er warf ihn Vinnie zu und hielt das Messer bereit
zum Angriff.
»Schaltet die Stirnlampen aus.« Im Kerzenlicht konzentrier‐
te er sich mit aller Macht auf die schwarze Mündung des
Treppenschachts.
Die langsamen Schritte kamen näher. Gleichmäßig. Gedul‐
dig. Ein Schatten erschien. Balenger machte sich zum Angriff
bereit. Ein Arm wurde auf und ab geschwenkt. An seinem En‐
de war eine Pistole. Aber der Arm zielte nicht mit der Pistole.
Er bewegte die Pistole auf die Art, auf die ein Blinder seinen
Stock bewegt, um den Raum unmittelbar vor ihm zu prüfen.
Ein Kopf erschien. Nachtsichtbrille. Tätowierungen. Todd. Er
trat aus dem Schatten der Treppe. Er sah benommen aus. Im
Licht der Kerzen sah Balenger, dass er blutüberströmt war.
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»Ist es… Seid ihr…« Todd nahm die Brille ab, als sei er über‐
zeugt, dass sie ihn Dinge sehen ließ, die nicht wirklich waren.
Er wirkte nicht erstaunt darüber, dass Balenger, Vinnie, Cora
und Amanda sich von ihren Fesseln befreit hatten.
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