EB1021____Creepers - David Morell
der Dreckskerl mich betatscht hat,
hat er das Band wirklich fest angezogen.«
Was machen wir?, fragte sich Balenger. Sein heißer Atem
staute sich unter dem Kissenbezug; er hatte das Gefühl zu ers‐
ticken. Er bemühte sich, sich den Raum ins Gedächtnis zu ru‐
fen, etwas zu finden, das ihnen helfen konnte. Glas. Glas‐
scherben auf dem Fußboden von dem Tisch, den er zertrüm‐
mert hatte. »Amanda?« Sie schnüffelte. »Was?«
»Kannst du auf dem Boden zerbrochenes Glas sehen? Auf
halber Strecke zwischen mir und Vinnie?« Pause. »Ja.«
»Wenn ich es schaffe, meinen Stuhl umzuwerfen und ihn
mitzuzerren, meinst du, du kannst mich zu dem Glas hinlot‐
sen?«
»…Ja.«
»Ich brauche wirklich Hilfe.«
Der Stuhl war schwer. Balenger verlagerte sein Gewicht von
einer Seite auf die andere, aber der Stuhl rührte sich nicht. Als
er sich schneller und heftiger hin und her warf, begann der
Stuhl zu schaukeln. Urplötzlich verlor er das Gleichgewicht.
Ohne sehen und den Fall abschätzen zu können, konnte er sich
auch nicht vorbereiten, als der Stuhl zur Seite kippte.
Der Aufschlag auf dem Boden brachte ihn aus der Fassung.
Er bewegte den Kopf über den Teppich, in der Hoffnung, so
die Kapuze loswerden zu können, aber der Schweiß ließ den
Stoff an seinem Gesicht haften; er löste sich nicht.
Keine Zeit! Was wusste er schon, vielleicht stand Ronnie
neben ihm, lächelte das neutrale Lächeln, das Amanda be‐
schrieben hatte, amüsiert von seinen armseligen Bemühungen,
und hob das Messer.
Jetzt!, sagte sich Balenger. Kriech! Obwohl das Band fest um
seine Knöchel gelegt war, konnte er die Knie bewegen, wenn
er den Unterkörper bog und die Hüften vorwärts schob. Er
grub die rechte Schulter und die Seite des rechten Knies in den
Teppich und tat sein Möglichstes, um den Stuhl weiterzu‐
schieben. Er stöhnte, als er spürte, dass der Stuhl sich ein
Stückchen bewegte. Mehr. Gib dir mehr Mühe, sagte er sich.
Seine Schulter und das Knie fühlten sich an wie verbrannt von
der Reibung des Teppichs. Der Stuhl bewegte sich wieder ein
Stückchen. Er keuchte vor Anstrengung. »Amanda, wie nah
bin ich an den Scherben?« Unter dem Kissenbezug war sein
Gesicht naß vom Kondenswasser seines Atems. »Dreieinhalb
Meter.« Nein! Ich werde nie hinkommen! Versuch’s. Kann
nicht. Beweg dich!
Donner grollte. Die Wände zitterten. Dann senkte sich eine
unheimliche Stille über das Hotel. Zwischen den Donner‐
schlägen und den Regenschwaden hörte Balenger noch etwas
anderes. Fern. Schwach. Aus der Richtung des Treppen‐
schachts. Das Echo kam herauf. Ein Schuss.
»Was war das?«, fragte Vinnie. »Denk nicht darüber nach.«
Weiter! Unter Aufbietung aller Kräfte schob Balenger den
Stuhl vorwärts. Dreieinhalb Meter? Zu weit. Schaffe ich nicht.
Wieder ein Schuss. Mehrere. Schnell hintereinander. »Gott
steh uns bei«, sagte Vinnie. Mehr. Gib dir mehr Mühe, dachte
Balenger. Jetzt hörte er Schreie, weit unten, aber durch den
Treppenschacht verstärkt; sie trieben zu ihnen herauf. »Bitte,
Gott, steh uns bei«, sagte Vinnie. Balenger spannte sich an und
bewegte den Stuhl ein paar Zentimeter weiter. »Warte«, sagte
Amanda. »Was ist los?«
»Du wirst gegen den Sofatisch stoßen. Da steht eine Kerze
drauf. Du wirst sie umwerfen.« Und das Zimmer in Brand
stecken und hier lebendig verbrennen, bevor Ronnie dazu
kommt, uns die Köpfe abzuschlagen, dachte Balenger. Er war
kurz davor, völlig den Verstand zu verlieren; er wollte brüllen,
bis seine Stimmbänder bluteten. »Wo ist der Tisch?«
»Etwa dreißig Zentimeter seitlich von deinem Stuhl.« Wei‐
tere Schreie aus dem Treppenschacht. »Wo steht die Kerze?«
»An der Ecke, die dir am nächsten ist.« Ich werde diese
Scherben nie erreichen, dachte er. Er war der Erschöpfung na‐
he, als er den Stuhl in eine andere Richtung zu schieben be‐
gann. »Du wirst den Tisch rammen«, sagte Amanda. »Will
ich.«
»Was?«
»Brauche die Kerze.«
Jetzt war es still auf der Treppe. Dreieinhalb Meter gegen
dreißig Zentimeter. Balenger stöhnte, krümmte sich und schob
den Stuhl weiter. Donner grollte. »Die Ecke ist vor deinem Ge‐
sicht«, sagte Amanda. Balenger atmete ein, so gut er konnte;
Schweißperlen standen auf seiner Oberlippe. Das Klebeband
lag um seine Oberarme, aber er konnte die Ellenbogen beugen
und die Unterarme bewegen. Er berührte das glatte Metallbein
des Tischs. Zuckte zusammen bei dem Schmerz
Weitere Kostenlose Bücher