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Ebbe und Glut

Ebbe und Glut

Titel: Ebbe und Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Burkhardt
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Rituale wieder auf und ergänzten sie durch neue. Wieder trug Arthur lässige Freizeitkleidung statt eines eleganten Anzugs. Wieder war er Mia sehr zugetan. Aufmerksam registrierte sie selbst seine kleinsten Zärtlichkeiten. Es waren nur winzige Gesten, aber verglichen mit der Kälte, die ein Jahr zuvor zwischen ihnen geherrscht hatte, waren es Gesten großer Zuneigung.
    Arthur verwöhnte Mia auf dieselbe überwältigende Weise wie beim ersten Mal. Wieder berauschte sie sich an den Berührungen seiner Hände und Lippen, an seiner Ausdauer und seinen raffinierten Spielereien mit Fesseln und anderen Utensilien, während sie sich hinter ihrer Augenbinde ganz ihren lustvollen Fantasien hingeben konnte.
    Hinterher saßen sie auf seinem Sofa und Arthur erzählte Geschichten, kleine Anekdoten aus seinem Leben, lustig, nachdenklich, Appetithäppchen vor den eigentlichen, den großen Geschichten. Mia erfuhr dass er in Hamburg aufgewachsen war und hörte Amüsantes aus seinen Jahren in der Schweiz und Amerika. Sie erfuhr jedoch nichts über die Frauen in seinem Leben, nichts darüber, was für ihn wirklich Bedeutung hatte, ihn glücklich oder unglücklich machte.
    Sie selbst erzählte ebenfalls Geschichten, von ihrer Familie, von Marie, der großen Schwester, die immer alles besser konnte, von ihren Eltern, die sie ermutigten, ihre Kreativität auszuleben, von Annika und Henny, mit denen sie seit dreißig Jahren unzertrennlich war. Von Frank erzählte sie nicht.
    Sie genossen die Lust, die sie sich gegenseitig bereiteten, die Geschichten, die sie sich erzählten, die schweigsamen Stunden, die sie bei Essen und Wein an Arthurs Esstisch zubrachten. Mia gewöhnte sich an sein stetes Bemühen, sie trotz allem nicht näher an sich heranzulassen, als unbedingt nötig. Sie hörte auf, Arthur Fragen zu stellen, die ihn verärgerten. Erstaunt stellte sie fest, dass er viel mehr preisgab, wenn sie ihn nicht drängte.
    Auch Arthur stellte keine Fragen, aber er war ein aufmerksamer Zuhörer.
    Als Mia ganz nebenbei ihren Roman erwähnte, war Arthur fasziniert. »Das ist ja großartig«, sagte er mit ehrlicher Begeisterung. »Worum geht es darin?«
    Mia berichtete vom Tagebuch ihrer Patentante und von ihren Versuchen, die vielen kleinen Erinnerungen in einen großen Zusammenhang zu betten. »Ich will nicht das Leben meiner Tante nacherzählen, das kann ich gar nicht. Die Figuren und Handlungen sind daher zum großen Teil fiktiv. Aber sie basieren auf dem, was meine Tante als junges Mädchen aufgeschrieben hat.«
    Arthur war sichtlich beeindruckt. »Das kling brillant. Hast du schon einen Verlag?«
    Mia zuckte mit den Schultern. Darum hatte sie sich überhaupt noch nicht gekümmert.
    »Ich kann dir dabei helfen, wenn du magst«, bot Arthur zu ihrer Überraschung an. »Ich kenne einen sehr guten Agenten.«
    Natürlich, Arthur kannte wieder mal jeden und wusste über alles Bescheid.
    »Du weißt doch noch gar nicht, ob der Roman gut ist«, wehrte Mia ärgerlich ab.
    »Das ist er garantiert. Ich weiß, wie du schreibst, das reicht mir schon.« Als er Mias skeptischen Blick sah, fügte er hinzu: »Gib mir das Manuskript zum Lesen, dann gebe ich dir ein angemessenes Feedback.«
    Diesmal fuhr er sie nicht nach Hause, er hatte selbst für seine Begriffe zu viel Wein getrunken.
    »Hast du am Freitag Zeit?«, fragte er zum Abschied. Heute war Montag. Er wollte sie schon in vier Tagen wiedersehen. Mia freute sich darüber.
     
    Nachdenklich ging sie an diesem Tag nach Hause. Arthur Kessler gab ihr immer mehr Rätsel auf. Früher war sein Verhalten klar und eindeutig gewesen. Er war ein arroganter Sack, wie er selbst einmal gesagt hatte, ein Snob, für den Humor und menschliche Wärme Fremdwörter waren. Verglichen zu damals wirkte er mittlerweile sehr offen und zugänglich.
    Und doch gab es immer noch Grenzen. Arthur erzählte nur im Rahmen ihrer ritualisierten Erzählstunden von sich. Und auch in ihrem erotischen Miteinander fehlte etwas Entscheidendes. Sie küssten sich nicht und schliefen nicht zusammen. Jeder genoss seine Lust nur für sich, isoliert von den Empfindungen des anderen. So aufregend das war, hatte es auch etwas Einsames, Steriles.
    In Gedanken versunken bog Mia von der Budapester Straße in die Clemens-Schultz-Straße ein und ging von dort weiter in ihre eigene Straße. Es war bitterkalt, und obwohl schon März war, lag immer noch Schnee in Hamburg. Unter dem Schnee waren die Gehwege vereist und spiegelglatt. Mia lief in ihren

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