Ebbe und Glut
Teilhaber der Firma ist. Ich wette mit euch, dass er mir gezielt hinterher geschnüffelt hat, um Informationen über mich einzuholen«, berichtete sie aufgebracht. »So was kann ich gar nicht leiden.«
Henny, die sich mit seltsamen Männern auskannte, sah das nicht so verbissen. »Vielleicht hat er bloß einen Vorwand gesucht, um in Kontakt mit dir zu kommen. Und er meint es gut mit dir. Er hat dir schließlich einen Job vermittelt. Zwei Jobs genau genommen.«
Mia wünschte, sie könnte die Sache auch so leicht nehmen. Zu ihrer eigenen Überraschung stellte sie fest, dass ihr Abend mit Arthur Spuren hinterlassen hatte, die sie verunsicherten. Der Umgang mit ihm war ihr leichter gefallen, als er so abweisend war. Die unterkühlte Erotik zwischen ihnen hatte sie damals fasziniert und ihr ein Gefühl von Sicherheit gegeben. Sie bewegten sich stets im Rahmen deutlicher Grenzen. Aber jetzt war das Eis an einigen Stellen geschmolzen und einer nicht minder faszinierenden, aber auch beängstigenden Glut gewichen.
»Wisst ihr«, fuhr Mia nachdenklich fort, »irgendwas stimmt mit Arthur nicht. Und das macht mir ehrlich gesagt Angst. Da lauert etwas unter der Oberfläche, das mir unheimlich ist.«
Sie erzählte von ihrem Auftrag für Arthur. Er hatte ihr Eckdaten seines beruflichen Werdegangs genannt, damit sie sein Profil erstellen konnte. Und natürlich recherchierte sie auf eigene Faust weiter. Arthur war ein Überflieger. Abitur, Banklehre, Studium, etliche Semester und Praktika im Ausland, und dann der Start einer beispiellosen Karriere im Investmentbanking. Mit zweiunddreißig wurde er zum Jungmanager des Jahres gewählt, er arbeitete in London, New York und Zürich und stieg in den Hierarchien immer weiter auf.
Bis eines Tages plötzlich Schluss war.
Den Grund dafür nannten weder Arthur noch Google. Er habe keine Lust mehr gehabt, behauptete Arthur, und nach mehrfachem, erfolglosem Nachhaken begründete Mia seinen Tätigkeitswechsel schließlich mit seinem wachsenden Interesse an nachhaltiger Wirtschaft und sozialer Verantwortung. Arthur nickte den Text kommentarlos ab.
»Warum steigt jemand so radikal aus? Wohlgemerkt vor der Finanzkrise 2008.« Mia war ratlos.
»Persönliche Krisen, Burnout«, mutmaßte Annika. »Vielleicht wurde er auch vom Blitz getroffen oder hatte eine Erleuchtung.«
Mia und Henny starrten sie entgeistert an. »Eine Erleuchtung???«
»Na ja, ich will damit nur sagen, dass es tausend Gründe dafür gibt, dass jemand sich verändert, auch völlig abwegige. Oder total banale. Vielleicht hat sich seine Frau ja beschwert, dass er so selten zuhause war.«
»Seine Frau? Welche Frau?« Noch während sie die Worte aussprach, beschlich Mia ein entsetzlich ungutes Gefühl. Sie hatte immer angenommen, dass Arthur allein lebte. Aber was, wenn das gar nicht stimmte? Vielleicht war er darum so abweisend und wollte keine emotionale Bindung zu ihr aufbauen. Das würde auch erklären, warum seine Wohnung so unpersönlich eingerichtet war. Vielleicht diente sie ihm nur als Büro, als Ort für Zusammenkünfte mit Geschäftspartnern und seinen Liebschaften. Mia wurde ganz flau im Magen.
Auf einmal fiel ihr noch etwas ein. Arthurs Narbe. Ulrich Hampel hatte angedeutet, dass sie von einem Autounfall stammte. Vielleicht war damals etwas passiert, das Arthur aus dem Tritt gebracht hatte.
Mia schwirrte der Kopf und das flaue Gefühl in ihrem Magen verstärkte sich. Um sich abzulenken, fragte sie Henny:
»Und wie läuft es mit Dirk Richter?«
Sie wusste natürlich längst, dass der Gitarrist, den Henny Silvester aufgegabelt hatte, in Wahrheit André Kuhn hieß. Aber der Name Dirk Richter war an ihm hängen geblieben.
Henny grinste vergnügt. Sie war seit Silvester ständig in Partylaune, aufgekratzt und überdreht. Auch heute Abend strahlten ihre Augen und ihre Wangen glühten.
»Super«, sagte sie. »Ich glaube zwar nicht, dass er Mr. Right ist, aber im Moment ist es echt ganz schön.«
Mr. Right – gab es den überhaupt? Nachdem sich Mias vermeintlicher Mr. Right als Griff ins Klo entpuppt hatte, zweifelte sie stark daran. Jeder Mann hatte Macken und Fehler, und je älter sie wurden, desto mehr Ballast schleppten sie alle mit sich herum – unverdaute Tiefschläge, Verluste, Krankheiten und Marotten. Mr. Right, so glaubte Mia auf einmal, begegnete man entweder mit zwanzig oder nie mehr.
Arthur rief an und lud Mia erneut ein. Sie fuhr zu ihm, er empfing sie freundlich, und sie nahmen ihre alten
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